Über Innen und Außen
Sechs Thesen zum Verhältnis von Sichtbarkeit und Bedeutung
Ich möchte im Rahmen von “Moving Thoughts II” über das Verstehen sprechen. Vor allem möchte ich dabei fragen und mir Rechenschaft geben darüber, was und wie ich “verstehe”. Dass ich verstehe, setze ich als Gegebenes. Ich muss aber vorab noch zwei Warnungen aussprechen: Erstens nämlich werde ich in meinem Vortrag altmodische Begriffe verwenden und somit einige Gedanken nach rückwärts bewegen. Und zweitens werde ich mit einer Anmaßung beginnen. Denn ich behaupte, aus der Sicht des Praktikers zu sprechen – d. h. in meinem Fall des Kritikers. Dessen Praxis ist aber nicht immer als solche angesehen oder anerkannt …
Aber zunächst zum Sehen. Gesehenes wird Auftrag, genauer gesagt Herausforderung, es zu verstehen. Fragt sich nur, nach welchen Vorgaben und Leitlinien. Gemeinhin sind es im Falle des Tanzes andere Verfahren als in sprachlich vermittelten Formen; wobei ich nicht daran glaube, dass das eine Medium nicht ins andere übersetzbar wäre, dass man sich sprachlich nicht über Tanz verständigen oder dass der Tanz keine intellektuellen Inhalte bearbeiten könnte.
Wenn ich von unterschiedlichen Verfahren spreche, soll das also nicht heißen, es gäbe weniger semantisches Gewicht beim Tanz. Vielmehr ist Tanz ebenfalls ein komplexes semantisches System, d. h. eines “von Bedeutung”. Dessen Funktionselemente sind allerdings weniger übersichtlich als beispielsweise die der Sprache mit ihren Systemen der Phonetik, der Architektur des Zeichens, der linearen Syntax usf. Kulturhistorisch haben auch der Tanz und die Bewegungskunst spezifische Systematiken entwickelt, um ihre funktionalen Elemente zu ordnen. Sie dienen der Artikulation eines ganz bestimmten und auch spezifischen Verhältnisses, das ich gleich versuchen werde zu beschreiben. Im Rahmen dieser Entwicklung wird je neu ausgehandelt, was die beiden Bereiche, welche ich bereits im Titel eingetragen habe, im Tanz verbindet.
Es folgen jetzt die angedrohten altmodischen und schillernd metonymischen Begriffe, oder Kategorien, nämlich das Innere und das Äußere, das Sichtbare und das Verborgene, die Form und die Bedeutung. Möglicherweise liegt zwischen diesen Worten bzw. den Inhalten, die sie bezeichnen sollen, gerade jener Zwischenraum des Entstehens (von Sinn, von Form, von Kunst), der in so vielen aktuellen Projekten mit dem Label “performativ” oder “performen” versehen ist. Thomas Lehmen wird ja später auch noch seine Auffassung davon vorstellen, wie er Idee, Werk und ‘Performance’ schöpferisch verbunden sehen möchte.
Ich glaube, dass an diesem darstellerischen Gelenk, dieser Artikulationsstelle die eigentliche konzeptionelle Choreographiearbeit ansetzt, mit der herkömmliche Verfahren des Verstehens demontiert werden, um neue und womöglich komplexere zu etablieren bzw. um dieses System der Beduetungsproduktion überhaupt erst zum Vorschein zu bringen. Verstehen aber – und hier greife ich auf meine Praxis, meine Erfahrung aus dem “schnellen Sehen” zurück –, verstehen soll und muss man immer. Aber was? Und wie? Welche Verfahren bieten sich an? Oder anders gefragt: Was tun die Choreographen/Tänzer, um “verständlich” zu sein?
Ich sehe zwei Tendenzen:
(1) Den Tanz als ungebundene Bewegungskunst stillstellen, die Bewegung ihrer sinnlichen und semantischen Polyvalenzen berauben, um möglichst eindeutige Sinnfiguren zu präsentieren und dadurch die Gedanken-Arbeit möglichst eingängig und körperlich übersetzbar und damit also sichtbar zu machen. Als Paradefall der jüngeren Theatergeschichte steht hier Etienne Decroux mit seinem Versuch, das Leibhafte des Schauspielers/Akteurs in festen, semantischen Formen zu bannen. Der energetische Wert bzw. die energetische Wirkung von Bewegung wird dabei zumindest der Absicht nach neutralisiert. Zu diesem Ansatz zählt dann auch die Liebe zum Zitat und zum Umgang mit einem “vergesellschafteten Körper”, etwa bei Xavier Le Roy und Jérôme Bel.
(2) Die andere Tendenz will die Bewegung bewahren oder beschützen, aber von vokabelhafter Bedeutsamkeit befreien. Meist will sie sie dabei zugleich theatralisieren, also in übergreifende Denk- und Bedeutungssysteme eintragen. Zu denen gehört neben anderen der Umgang mit Sprache als dem primären System der Bedeutungsschöpfung (hier verwendet im Sinne von Wertschöpfung, oder Mehrwertproduktion …). Somit ginge es also in dem Wechselspiel aus Tanz/Bewegung und Signifikation gleichsam um die Ordnung der Beziehungen zwischen Geistesgegenwart und Gedankengrund. Oder wie es Decroux formuliert hat: um die Geschwindheit des Gedankens im Gegensatz zur Erdenschwere des Leibes.
Ich bleibe weiterhin thesenhaft und möchte diese Überlegungen in sechs Schritten ausführen.
1. Verstehenszwang
Die Bühne sowieso, die Tanzbühne aber in besonderem Maße schaffen das Bedürfnis, verstehen zu wollen. Ich denke, dass die Beschäftigung mit diesem Bedürfnis im Bereich der Darstellenden Kunst und damit auch des Tanzes bisher völlig vernachlässigt worden ist. Und zwar weil es eine Art kultureller – vielleicht sogar anthropologischer – Konstante darstellt.* Ebenso wie das Phänomen des Lesezwangs steht es für einen Rest von kindlicher Weltaneignungs-Neugier im Verstehen-Wollen dessen, was gesehen wird. Dieses Bedürfnis nach und der Zwang zum Verstehen liegt den allermeisten Rezeptionsprozessen zugrunde. Als Kritiker bin ich fortwährend mit diesem Bedürfnis befasst, und zwar dem eigenen wie dem allgemeinen, jedenfalls dem kommunikablen – also dem des Publikums.
2. Anderes
Gleichzeitig gilt aber paradoxerweise: Je verständlicher ein Werk, desto uninteressanter. Wenn das Werk nur sein eigenes System reiteriert, seine eigenen Verfassungsregeln, dann erschlafft gleichsam der Verstehenszwang. Wenn ich im Ballett nur “Ballett” sehe, ist die Neugier nicht angestachelt, allenfalls die Lust am Wiedererkennen befriedigt. Sehe ich dagegen Forsythe oder Lock, sehe ich immer das System plus eine inhaltliche Hinzufügung, eine Transgression des Systems und damit eben eine Herausforderung.
Dass Virtuosität und Interpretationskunst diese einfache Trennung natürlich wieder umwerfen können, erwähne ich hier nur der Vollständigkeit halber – Diana Vishneva als Giselle oder Margaret Illmann als Julia haben mit bloßer Reiteration nichts zu tun. Man “versteht” hier eine Interpretation – als Aneignungsprozeß. Also ein “Anders-Werden”, ein Oszillieren zwischen dem Bekannten und dem Neu-Entstehenden des Werks als Interpretation.
Ebenso gilt aber natürlich: Je weniger erkennbares System, je willkürlicher die Anordnung, je kryptischer die Form, desto unverständlicher und also “ärgerlicher” wird das Werk. Man will vom Verstehen nie ausgeschlossen sein; es ist eben ein heikler, zwischenmenschlicher Vorgang …
Und zum dritten gilt die Einschränkung, dass für den nicht-initiierten Zuschauer auch eine beliebige Repertoireaufführung des “Schwanensee” in der Fassung nach Petipa eine kaum zu bewältigende hermeneutische Heruasforderung darstellen kann. Ein bestimmtes Vorwissen ist immer Bedinung des Verstehensvorgangs.
Dennoch – es scheint im Akt des Zuschauens ein dynamisches Bedürfnis enthalten zu sein, das Bekannte oder Vertraute einer Form und eines Systems mit dem Unbekannten und Fassungslosen eines Gesehenen/Gezeigten zu verbinden. An diesem Punkt kommt die beschreibende Arbeit hinzu. Denn nur in der genauen Analyse der spezifischen Mechanismen und Anordnungen von Bewegung, Raumkoordinaten und allen anderen Paramtern des Sichtbaren (die Musik natürlich nicht zu vergessen) lässt sich gleichsam ein Sinn-Protokoll der Aufführung erstellen, das der Anfang der Tanzhermeneutik wäre (siehe unten).
3. Aussagen / Setzungen
Aus dieser Verbindung, diesem Hin-und-her-Pendeln zwischen Einsicht und Ausschluss entstünde eine spezifische Schaulust, ein besonders befriedigender und stimulierender Modus des Zusehens, eine Art visuelles Erkenntnismodell. Durchaus in Reaktion auf dieses Stimulans entstehen daher Formen und Werke, die etwas Neues darstellen oder zumindest die Suche nach Neuartigkeit thematisieren oder enthalten – als Ungesehenes, Un-Vorhergesehenes, letztlich als Unsichtbares in einem vermeintlich vollständig sichtbaren Werkganzen.
Das alles klingt nach rein formalen Fragen, ästhetischen auch, wenn man so will, die den Wahrnehmungsakt, den Reiz, den Kitzel in den Vordergrund rücken. Man muss aber bei der Frage nach dem Verstehen auch nach dem Anliegen fragen, welches dem gesehenen Werk zugrunde liegt. Und hier trifft man auf eine weitere altmodische Kategorie. Ich meine das individuell Künstlerische, das Subjektive oder auch Diskursive, das Biographische, insoweit es sich im choreographischen Werk zeigt – zeigen soll oder auch gerade nicht. (Die Negation ist ja bekanntlich auch eine Form der Ich-Bekundung.)
Zum seltsamen Verhältnis zwischen Altem und Neuem, Allgemeinem und Besonderem tritt also noch ein weiteres, nicht weniger unhandliches hinzu, das den Rahmen der bloß formalen und auch ästhetischen Probleme gerade übersteigt. Denn in diesem Verhältnis geht es um Ausdruck, um ein kommunikatives Bedürfnis, mithin um einen Druck auch und vor allem auf den Rezipienten, der einer argumentativen Linie (und sei es eine visuelle Argumentation) folgen soll. Kurzum: Es geht ums Ganze. Nämlich ums System und um den Einzelfall zugleich; um das Offenbare und das Unerhörte; um eine Dynamik der Form als Auslöser für eine Dynamik der Wahrnehmung. (Der Manierismus in der Malerei hatte seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert ein ähnliches Paradigma geschaffen.)
4. Im Verborgenen sichtbar
Im Vorgang des Verstehens darstellerischer Aussagen verbinden sich die beiden Ebenen oder auch “Reiche” – der Wiedererkennungswert und das Fremde, Unbekannte, der formale Rahmen und der Inhalt – auf ganz spezifische Weise. Hier ist nicht der Ort, auf die vielen Vermittlungsformen und -versuche einzugehen, die dieses diffizile und auch paradoxe Verhältnis im Laufe der Geschichte der darstellenden Kunst mit großer und nachhaltiger Schubkraft bis heute hervorgerufen hat; etwa die französische Klassik oder das deutsche Rührstück und die dazugehörige Schauspielkunst
Ich will aber behaupten, dass seit Kleists Aufsatz “Über das Marionettentheater”, mehr noch seit E.T.A. Hoffmanns Tanz- und Psychoparabel “Der Sandmann” über den fatalen Tanz der Vernunft mit dem mechanischen Puppenwsen Olimpia das Verhältnis zwischen Innen und Außen – also zwischen der sichtbaren Gestalt in ihren Bewegungen und den darin enthaltenen, oder aufgehobenen, wirkenden Kräften (sie heißen je nach gesellschaftlicher Disposition Seele, Gefühle, das Ich, das Unbewusste) nachhaltig gestört, ja rettungslos zerfallen ist. Seither muss man sich ziemlich anstrengen, beide Parameter in ein schlüssiges, auskunftsfreudiges, augenfälliges Verhältnis zu bringen.
Die hauchdünne Membran des Werks (wäre sie womöglich gleichsam die ideelle Marke jener Stelle, wo der “performative Zwischenraum” als haarfeiner Bruch im Wahrnehmungsakt einreißt?), die ganz besonders im Tanz unerhört empfindlich ist, weil sie gleichzeitig sich selbst als Gestalt behaupten und das hinter ihr verborgene Unsichtbare offen legen soll; weil sie ein Außen ist, das sein Inneres verkündet und dazu nur den im Prinzip unendlich kurzen Gegenwartsmoment hat: die Aufführung nämlich; die Membran also als das Einzige des ansonsten und im eigentlichen Sinne immateriellen tänzerischen Werks (weil es Tanz ja als Dauerhaftes bekanntlich gar nicht gibt) – sie ist verletzlicher als jedes andere konsumable Kunstwerk. Und deswegen ist Tanz auch besonders schwer oder zumindest widerständig zu verstehen.
Der französische Maler des 17. Jahrhunderts Nicolas Poussin hat gesagt: “Um ein Kunstwerk zu verstehen und zu beurteilen, muss man es genauso lange betrachten, wie der Künstler brauchte, um es anzufertigen.” Wie hätte man sich diese Dauer beim Tanz vorzustellen?
Dieses Paradox ist meiner Ansicht nach ein Grund für die heute vorherrschende tiefe Skepsis, ja die Ablehnung von Tanz in seiner, horribile dictu, “reinen” Form bzw. von “Tanz-Tanz”. Immerhin haben wir es zur Zeit mit allerlei Konzeptionen und Konzepten – mit gesellschaftlichen Makrotrends – zu tun, die das Leben (der Kunst, des Tanzes, der Natur) gleichsam auf den Prüfstand zerren und es bestenfalls imitieren wollen, anstatt es irgendwie zu feiern. Einer solchen Feier haftet der Ruch des Naiven, des Theorielosen, des Banalen, ja des Affirmativen an. Bereits die Invektiven von Etienne Decroux gegen den Tanz (“La danse n’est même pas un problème, mais une solution” – Der Tanz ist noch nicht einmal ein Problem, sondern bloß eine Lösung) sind Symptom für diesen Bruch, der sich bis heute fortsetzt etwa in den Debatten über Ballett vs. Zeitgenössisch, über Tanz vs. Performance etc. Auch der aktuelle Meinungsstreit über Künstlerförderung als Geschmacksurteil einerseits, Richtungskampf zwischen beiden “Lagern” andererseits beweist, wie tief diese Kluft tatsächlich ist. Alle Diskussionen werden fein säuberlich entlang dieser Bruchlinie geführt.
Wenn also der Tanz-Tanz mit seinen herkömmlichen Wirkungs- und Rezeptionsmustern wie etwa Stil, Technik, Schönheit, Impulsivität, Erlebnis, Erotik offenbar obsolet geworden ist und untauglich, Aussagen zu machen über die heutige Verfasstheit des Menschen, der Gesellschaft, der ästhetischen Kategorien, wenn dem so ist, dann …
5. Vermittlung
… muss der Tanz andere Wege der Vermittlung zwischen dem Eigentlichen und dem Tatsächlichen, dem zu Sagenden und dem Sichtbaren, der Form und der Herkunft finden. Die Vielfalt dessen, was heute als Tanz firmiert, belegt diese geradezu rastlose Suche nach einem “adäquaten Tanz”. Es wird und kann aber nicht gelingen, so meine feste Überzeugung, dieses im Grunde äußerst produktive, ja konstitutive, aber eben vermeintlich auch altmodische Vermittlungs-Verhältnis zwischen Innen und Außen ganz einfach abzuschaffen oder auszuschalten. Man kann nur diesem Verhältnis und seinen manchmal subkutanen Bewegungen auf der Spur zu bleiben und sie zu verstehen versuchen.
So gesehen wäre aber das, was manchmal abschätzig, manchmal hilflos, selten so nüchtern wie hier und heute im Tanzarchiv “Konzept-Tanz” genannt wird, gar nicht die Abschaffung von Tanz, sondern bloß eine Abkehr vom Vordergründigen oder allzu Systemhaften. Vielleicht sollte man eher von Selbst-Sensibilisierung sprechen – so wie der “Ausdruck” im Ausdruckstanz historisch rasch zur Floskel oder bestenfalls zur Pathosformel erstarrt ist, die kaum noch etwas aussagen kann. Heute hat “Ausdruck” zu ganz anderen, leiseren, feineren Formen der Selbstbekundung gefunden und trägt sich sehr viel behutsamer auf die Werkmembran ein als vor 100 Jahren.
6. Sprache
Zu solchen komplementären, neuen oder eben “anderen” Formen zählt auch der Rückgriff auf die Sprache, um dem semantischen System des Tanzes seine ihm recht und billig zustehende Bedeutungsfähigkeit sichtbar (bzw. besser: hörbar) zurückzugeben. Von Jo Fabian und Meg Stuart über Thomas Lehmen bis zu William Forsythe wird geredet, um den Tanz und seine jeweiligen Anliegen in den angemessenen Bezugsraum zu ordnen. Wenn die Zeit reichte, würde ich hier andererseits aber die letzten Arbeiten von Christoph Winkler heranziehen. An ihnen ließe sich exemplarisch zeigen, wie der Tanz sich “Bedeutung”, auch Sprachlichkeit zulegen kann, ohne auf seine stilistischen Mittel und phänotypischen Merkmale, auf seine spezifische Form von Bewegung und rasender Sichtbarkeit zu verzichten.
Sowohl in “Berst” als auch in Winklers Shakespeare-Stück “Fatal Attraction” oder in “Lebenslang” für die Ballerinen Bettina Thiel und Margaret Illmann gelingt es Winkler, die biographischen bzw. persönlichen Aspekte (also den am meisten von Legenden umrankten und von Geheimnissen umwitterten Bereich tänzerischer Aussagekraft) der bewegten Form so zu gestalten, dass sie nicht schwatzhaft werden und doch beredt von ihrem ganz innigen, ja unlöslichen Verhältnis zur Innerlichkeit der Tänzerinnen künden – ohne Kitsch, sondern als Lebenszeugnis im emphatischen Sinne.
Schluss
Winklers Reflexion über den Tanz und seine Bühnenwirksamkeit wäre ein eigenes Thema. Hier sei nur festgehalten, dass sich Tanz als ästhetische Form, d.h. als Gattung der Bewegungsgestaltung und -wahrnehmung, und Konzept als intellektuelle Übersteigung, als Metaebene, als sich selbst befragende Kategorie jenseits von Tanz keineswegs ausschließen, ja dass es eine solche Dichotomie eigentlich gar nicht gibt. Vielmehr schmiegen sich im besten Falle beide so eng an die Membran des Werks, dass Innen und Außen, das Sichtbare und das Verborgene samt dem verborgen Wirksamen (also z. B. dem Denken), dass Biographie und Medium sich fast gar nicht mehr trennen lassen.
Mit einem solchen Verständnis wäre einerseits die leidige Streitfront aufgehoben zwischen beiden “Blöcken” (darunter “klassisch” und “zeitgenössisch”). Gleichzeitig wäre keine Seite übervorteilt. Weder Form noch Bedeutung, weder Bewegung noch Performance bräuchten sich und ihr Revier zu verteidigen. Die Möglichkeit zum Verständnis, d.h. zu einem sinnvollen und sinnreichen Einblick in das Verhältnis zwischen Innen und Außen, bliebe unbenommen. Dem Verfahren des Kritikers, hier verstanden als Vermittler zwischen dem Kontinuum des Werkprozesses und dem disjunktiven Erleben durch das Publikum, böte sich – aber ich will den Konjunktiv verlassen und sage: bietet sich ein reichhaltiges und fruchtbares Feld des hermeneutischen Zugriffs.
Hermeneutik ist mein dritter altmodischer Begriff, auf den ich hinauswollte. In seiner Relevanz für alle Formen der Vermittlung zwischen Bedeutungssystemen und Auffassungsgabe halte ich ihn nach wie vor für grundlegend. Und zwar sowohl im Sinne Schleiermachers, der ob der paradoxen Vorgänge des Verstehens regelrecht erschrak, als auch im Sinne Gadamers, der im Verstehen einen genuin schöpferischen Akt sah. Und auch im Sinne einer echten Praktikerin – Margaret Illmanns nämlich, die in “Lebenslang” über ihren tänzerischen Lebensweg freimütig und begeistert bekennt: “I love to understand.” Die Leidenschaft für das Verstehen ist eben eine Lebensaufgabe – auf und vor der Bühne. Und wahrscheinlich auch im Raum dazwischen.
Vielen Dank!