Das erste, was man sieht, sind die großen, feuchten Augen eines hechelnden Hundes. Dieser sanfte Köter haust in der versifften Enge eines Nachtclubs, in dem auch eine Menge zweibeiniger Hundesöhne und Nachteulen ein und ausgehen. Unwirklich sattes Blau verschattet seine Flure und Hinterzimmer. Im Club selbst tanzen verschwommene Lichtreflexe auf dem stumpfen Scheitel unechter Blondinen und auf großporigen, überschminkten, derangierten Gesichtern. Jeder hält sich hier an etwas fest: der Bierflasche, dem Schoßhund, dem Tanzpartner, dem Mikrofon. Und findet doch keinen Halt. Man säuft und palavert. Der ganze Raum schlingert, ein abgewracktes Amüsierschiff. Sein Star ist eine nur kniehohe Kleinwüchsige. Sie tippelt auf Spitzenschuhen an den verwachsenen Füßchen im rosa Tutu, sie boxt, sie singt. Und der dunkle Hund guckt zu und hechelt. Neben der Minifrau erscheint er als riesenhaftes Monster. Ein alter Lüstling an der Bar guckt zu und hechelt. Auch er wirkt doppelt fett und grob neben der kleinen Diva, die er wie eine Puppe befummelt und herumschwenkt.
„Le Jardin“ (Der Garten) des Kollektivs Peeping Tom in der Reithalle B beginnt mit einem halbstündigen Film, einem Tauchgang in das, was man Unterwelt oder zumindest Halbwelt nennt, eine Abseite von Gesellschaft. Franck Chartier und Gabriela Carrizo waren Tänzer bei Alain Platel, ehe sie sich 1999 selbständig machten. Ihr erstes Erfolgsstück „Une Vie Inutile“ spielte in und um einen Campingbus herum. Diesmal zieht es sie in Spelunke und Kleingarten. Chartiers Kamera sitzt den verheulten Frauen und flirtenden Transen klaustrophobisch dicht im Nacken. Sie macht bildmächtige Ereignisse aus Kleinigkeiten und filtert aus dem abstoßenden Sumpf der Freaks so etwas wie Nähe und Alltäglichkeit heraus.
Die schöne saubere Welt der Normalbürger eignet sich auf den ersten Blick weniger für großes Kino. Und so findet der zweite Teil des Abends als Live-Performance im Kleingarten statt. Auch hier ist alles Fake: der Rasen, die kugelrund geschorenen Buchsbäume, die getrimmte Hecke. Chartier und Carrizo mimen ein junges Paar. Er turnt im Kreis über den Rasen, rollt, stürzt, überschlägt sich, kraftvoll und spielerisch. Käfigkoller? Sie plappert, lässt die Zigarette in ihrem Mund ein Tänzchen aufführen, hopst federleicht auf allen Vieren zum Spinett oder schwänelt wie aus dem Ballettlehrbuch um ihren Mann herum. Käfigkoller! Kleingarten Eden. Dann ist da noch der Alte von der Bar, nackt und später in Unterhose. Er sitzt auf der Wiese und schwelgt in Erinnerungen über den Mordjob – „A hell of a job!“ – den er hatte, das Mordshaus, die Mordsfrau, die Mordsautos, die Mordsplattensammlung. Trotz Leibesfülle und ungebrochener Kraft strahlt Simon Versnel Verletzlichkeit aus, hockt zwischen Sonnenschirm und Rasensprenger wie zwangsinhaftiert. Auf den zweiten Blick sind die beiden Kulturlandschaften in „Le Jardin“ so unterschiedlich nicht. Peeping Tom finden die Schönheit im Dreck und die Maden im Geranienbeet. Sie inszenieren Zwischenwelten, so uneindeutig wie Realität und werfen den Zuschauer in ein Wechselbad aus Faszination und Verachtung. Großes Theater.