Lächeln und Sabbern

Ina Christel Johannessens "The Terror of Identification"

Märkische Allgemeine 1 Mar 2005German

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Vier Frauen stehen da und schauen. Uns an. Uns an wie wir sie anschauen. Und sie scheinen sich selbst dabei zu beobachten wie sie uns anschauen wie wir sie anschauen. Die Vier sind mit Schmuck behängt, schick gemacht für die Öffentlichkeit, in die sie sich stellen und die wir sind. Sie stehen also da und schauen und sehen gut aus – bis plötzlich etwas aufblitzt, das nicht ins Bild passt. Lautlos und langsam tropft den Frauen Flüssigkeit aus den Mundwinkeln. Tropft auf die alabasterweiße Haut im tiefen Ausschnitt oder das mit Pailletten bestickte Glitzertop. Sie lächeln und sabbern, lächeln und laufen aus. Diese unappetitliche Unschärfe in der perfekten Erscheinung nagt an ihr. Und sie bleibt erhalten: Am Schein wie am Sein nagt es hier überall.

Ina Christel Johannessen lässt in „The Terror of Identification“ tanzen, was die Körper ihrer grandiosen Darstellerinnen hergeben. Ihre zero visibility corp. ist ein regelmäßiger Gast in der fabrik Potsdam, und auch diesmal zeigte sie sich als scharfsinnige Analytikerin. Johannessens Arbeiten verbinden exakte physische Studien am Tanz, am Körper mit Studien von Denk- und Gefühlswelten, ohne je auf symbolistisches Glatteis zu geraten. „The Terror of Identification“, gespielt in der Russenhalle an der Schiffbauergasse, ist ein Stoff, der dazu reichlich Gelegenheit böte: Frauen, gefangen im öffentlichen und privaten Rollenspiel, das riecht förmlich nach simplen Bildern, nach Scherenschnittmoral. Doch Johannessen erzählt keine Befindlichkeitsgeschichten. Manchmal wirken Cilla Olsen, Line Tørmoen, Cecilie Lindeman Steen und Kristianne Mo wie vier Temperamente, doch sie sind Akteure in einem einzigen bewegungsgeologischen Experiment.

Wie viele Krusten und Schichten von Sinn, wie viele Sinnbilder stecken in unseren Haltungen? Auf wie viele Arten sind wir lesbar? Wie ist es möglich, man selbst zu sein, wenn „man selbst“ immer auch das Produkt eines Blickgeschehens mit dem Gegenüber ist? Das, was er in Einem sieht oder sehen will? Die Frauen tanzen sich vor und neben einem kleinen Pavillon aus Gitterornamenten, der häuslichen Rückzug ermöglicht, die Rollen förmlich aus dem Leib: das Unschuldlamm, die Spröde, die Reife, die Emanzipierte. Die trauernde Mutter ringt die Hände, die Hexe krallt sie in die Luft. Lolita kringelt ein Haarlöckchen. Der Vamp beißt zu, die Ballerina schwebt, Jeanne d’Arc schwingt das Schwert, die Domina die Peitsche. Johannessens starkes Quartett flirtet zwar mit all den von meist männlichen Malern, Autoren, Inquisitoren, Liebhabern, Kunden oder Söhnen verbürgten Identitäten, doch es hebelt sie auch aus den Angeln, spielt mit ihnen wie kleine Mädchen mit den bunten Klamotten aus der Kostümkiste vom Dachboden. In ihrem Buch „Unmarked" entwirft die amerikanische Performance-Theoretikerin Peggy Phelan das als Potenzial des Weiblichen: sich als „unmarked“, also unbesetzt und unbesessen zu behaupten, obwohl ein männlicher Blick es ständig als negative, schwächliche Entsprechung seiner selbst zu setzen und für sich zu beanspruchen bestrebt ist. So versteht die Choreografin Johannessen auch „The Terror of Identification“: als Attacke auf ein bestehendes System, als Zumutung, aber auch als Gegenwehr.