Existenzialistisches Kabarett
Ein trüber Blick auf Paare und Passanten an der Berliner Schaubühne
Dass der Mensch des Menschen ärgster Feind sei, gehört zum antiken Erfahrungsschatz der Menschheit und ist daher auf dem Theater immer wieder Thema. Und weil die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz sich seit Spielzeitbeginn auch mit der Sparte Tanz schmückt, darf dies uralte Sujet nun auch im bildsatten Tanztheater-Stil des hauseigenen Bewegungsensembles durchgenommen werden. Luc Dunberry und Juan Kruz, seit 1996 Mitarbeiter von Choreografin Sasha Waltz und nunmehr fest engagierte Schaubühnenmitglieder, haben mit „The rest of you“ (zu deutsch etwa: Was von dir übrigbleibt) ein Stück für fünf Darsteller herausgebracht, das sich diesem allzumenschlichen Problemkreis widmet.
Damit niemand am Tiefgang des Unternehmens zweifelt, wird gleich zu Anfang scharf geschossen: Die fünf Spieler treten vor weißen Gardinen auf ein gefliestes Spielpodest und geben das Personal für eine menschliche Schießbude ab. Die jeweilige Trefferquote wird per Digitalstimme angesagt. Danach setzt ein knapp anderthalbstündiger Ernüchterungs-Reigen ein, aus dem niemand unbeschadet hervorgehen wird: Jede Umarmung ein Nahkampf, jeder Tango ein Totentanz, und alle Liebesanbahnung endet wenn nicht in Kannibalismus, dann bestenfalls in Stumpfsinn. Und zu allem brummt ein Kühlschrank. Die Herzen der Menschen sind gar sehr erkaltet ...
Dass nach und nach die langen Vorhangbahnen abgenommen und samt Personal vom Podest geworfen werden, verschafft nach einer Weile zwar Blicke in die Bühnentiefe, aber kaum Einblick in die Seelen dieser Gefühlsmonster. Vielleicht haben sie ja auch schon längst keine mehr, und wir sind nur Zeugen eines Zuges der Verdammten. So wirkt am innigsten noch die Szene, wo der Geliebte, wie Schlachtvieh leblos an einen Haken gehängt, von seinem unermüdlichen Freund bewegt wird. Der kann in fast tierhafter Vitalität offenbar nicht begreifen, dass die Liebe und das Leben den anderen Leib verlassen haben sollen. Doch bei aller Eindrücklichkeit einzelner Bilder bleibt das Gesamtprojekt episodenhaft und tanzdramaturgisch meistens flach. Die Liebe zum Bild, so scheint es, hat dem Regieteam den Blick auf die Bühne versperrt. Wäre nicht die erstaunlich subtile und immer wieder wahrhaft überraschende Musik- und Klang-Collage von Joanna Dudley, der Abend hätte außer diffuser Düsternis kaum Stimmungsnuancen zu bieten. Das Premieren-Publikum, wie üblich zur Begeisterung wild entschlossen, beklatschte erleichtert jede kabarettistische Einlagen (von denen es wenige gibt), blieb aber am Ende verständlicherweise eher ratlos. Die fünf Akteure hatten nämlich Brautschmuck angelegt. Werden jetzt doch noch alle romantischen Liebes-Träume wahr? Sollen wir alle glücklich sein? Da aber ging das Licht aus.