La Compagnie du Solitaire zeigt „sans“ als Uraufführung in der fabrik Potsdam
Die 1990 gegründete französische Tanzformation La Compagnie du Solitaire ist – getreu ihres Namens – auf den großen Festivals in der Regel nicht vertreten. Sie gehört dort wahrscheinlich auch gar nicht hin. Zwar weist die künstlerische Biografie der Leiterin und Choreografin, Martine Pisani, große Namen auf – vor allem den der in Frankreich populären Odile Duboc, die sich durch Talentförderung einen Namen gemacht hat. Doch ist Pisanis Arbeit wohl allzu eigenbrödlerisch, verschroben und von irgendwie ur-gallischer Liebe zur Anarchie – eine Mischung mit viel Charme, aber ohne Festival-Format.
Mit ihrem Stück „là où nous sommes“, das vor zwei Jahren bei den Potsdamer Tanztagen zu sehen war, erwies die Cie. du Solitaire dem heiteren Alltag Reverenz: ein Abend, als sei eine tänzerische Paraphrase von Peter Handkes „Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten“ versucht worden; mit nichts als Schrittfolgen, Auftritten und Abgängen, Handschlag und Kleiderordnungen trieben die Akteure sich und das Publikum allmählich zur Raserei. Die neueste Arbeit der Truppe, nach einem längeren Arbeitsaufenthalt (residency heißt das im internationalen Kulturbetrieb) vergangenes Wochenende uraufgeführt in der Potsdamer „fabrik“, heißt lakonisch-gespreizt „sans“ (ohne) – was es natürlich erlaubt, sich jedweder Kategorisierung zu entziehen.
Drei Männer von höchst unterschiedlichem Wuchs (die vierte im Bunde fiel wegen Verletzung kurzfristig aus) hat es – warum, bleibt unbegründet – auf eine völlig kahle, unprätentiös ausgeleuchtete Bühne verschlagen. Sie wissen nicht, was tun, und so fangen sie an, Unfug zu treiben. Einer, dessen Gesicht ausschaut, als habe Pieter Breughel persönlich ihm eine Maske angefertigt, beginnt dann plötzlich in gebrochenem Deutsch eine Rede ans Publikum, die klingt wie die Anleitung zum Kurs „Improvisation 1“ im Grundlehrgang Schauspiel: „Stellen Sie sich vor, Sie springen in eine Hose und die fängt an zu laufen ...“ Das ist Prämisse fürs weitere skurrile Geschehen, in dem alle drei so rührend hilflos und angestrengt wirken in ihrem körperlichen Treiben wie abgerichtete Kinderstars. Fast könnte man mit ihnen Mitleid haben, wie sie sich winden und drehen, wie sie einen Ausweg suchen, wie sie die Balance zu halten bemüht sind, wie sie treu und ergeben blicken und auf das Ende der Unterrichtsstunde zu warten scheinen.
Und doch entwickeln die drei keineswegs blendend aussehenden Figuren Charme. Sie werden kokett und führen ein Gesichtsballett auf, ehe sie wie verhedderte Marionetten mit den Armen zu schlenkern beginnen oder sich in einander wühlen wie junge Hunde. Sie probieren ein wenig klassischen Tanz, eine bisschen Athletik und Akrobatik, sie markieren expressive Bewegungen und auch mal etwas Pantomime, aber die ganze Bewegerei will ihnen nicht so recht schmecken. Auch ein Kostümtausch verschafft keine Erleichterung – die Bühne bleibt ebenso gnadenlos einsehbar wie die Akteure herzhaft täppisch.
Mit der Ideenlosigkeit zu spielen ist bei Pisani choreografisch eine viel bessere Idee, als es den Anschein haben mag. Zumal, wenn diese Idee so konsequent umgesetzt wird. Selbst die Musik glänzt durch Abwesenheit: Nur das Rauschen und Brummen der Tonanlage erinnert daran, dass die Lautsprecher eigentlich Klang produzieren sollten, so wie das clowneske Trio eigentlich Tanz. Vielleicht warten ja beide noch auf die Inspiration. Vielleicht ergibt sich später ein anderer, sozusagen echter Titel. Wenn man weiß, worum es wirklich geht im Stück. Bis dahin aber lässt sich dieses Warten sehen.