Schönheit ist kein Verbrechen

„La Guerra d’Amore“ von Joachim Schlömer eröffnet das Theatertreffen

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berlin 1 May 2000German

item doc

Mit dem schönen Wort conceptismo bezeichnet die spanische Literaturgeschichte jene wundervoll verschrobene Art der rhetorischen Zügellosigkeit in der europäischen Dichtkunst des 16. und 17. Jahrhunderts, bei der alle lyrische Rede nur noch sprachvirtuoser Selbstzweck ist. Im spanischen Goldenen Zeitalter trieb solch geistreiche Wortkunst nach italienischem Vorbild die tollsten Blüten. Dass sich ausgerechnet der Choreograf Joachim Schlömer am Theater Basel eine tänzerisch-musikalische Bühnenfassung von „Vertonungen“ solcher verschlungenen Sonette, Romanzen und Vers-Epen vorgenommen hat, wie sie vor allem Claudio Monteverdis Madrigal-Kompositionen bieten, ist zumindest ein Wagnis gewesen. Die Einladung des Resultats „La Guerra d’Amore“ zum Theatertreffen – noch dazu als Eröffnungsveranstaltung – gibt Schlömer zwar recht, doch bleibt seine Produktion (jedenfalls in Berlin) umstritten. Manchem Zuschauer fehlte der gesellschaftliche Tiefgang, einige bemängelten Formtändelei, etliche schließlich vermissten überhaupt „das Theater“.

Dabei ist Schlömers Projekt nicht das Geringste vorzuwerfen. Vielmehr gerät die Aufführung durch ihre stilsichere Komposition, ihren erlesenen Umgang mit der lyrischen Vorlage und die exzellente künstlerische Besetzung auf der Bühne wie im Orchestergraben (das Instrumental-Ensemble der Schola Cantorum Basiliensis spielt unter Leitung von René Jacobs) zum Triumph. Wie die beiden Pole Gesang und Gebärde, Stimme und Körper im Laufe von zweieinhalb Stunden zusammenfinden und zur selbstverständlichen Einheit verschmelzen, ist einmalig. Stehen die Gesangssolisten anfangs noch brav im Kreis und huschen die Tänzer barfuß auf Zehenspitzen behutsam an ihnen vorbei, so wird es bald schon schwierig, beide Parteien noch auf Anhieb zu unterscheiden: Der Bewegungschor bringt plötzlich eine Stimme mit, die Mezzosopranistin Marisa Martins tanzt mit Jean-Guillaume Weis einen hinreißenden Gesangs-Pas de deux, und zuletzt verläuft nur noch symbolisch eine rampenparallele Trennlinie über die Bühne. Und manchmal durchbricht der Tanz seine vornehme Zurückhaltung. Dann wird nicht nur rhetorisch ein Brillantfeuerwerk entzündet. Die Tänzer selbst züngeln im grandiosen Finale „Ardo, avvampo, mi strunggo“ glutvoll den Hitzewallungen unerfüllter Begierden nach.

Natürlich hat Schlömers Liebeskrieg-Projekt etwas Zopfiges. Doch schlägt er aus dem historischen Material überraschend zeitgenössisches Bühnenkapital. Die frühbarocken Götter und allegorischen Gestalten tummeln sich als postmoderne Alltagsmenschen, und ohne irgendwie über das trügerische Wesen des Menschen und der Liebe belehren zu wollen, begegnen sie sich selbst und dem Zuschauer in schöner Vielstimmigkeit mit den Mitteln einer vergangenen Affektkultur. Das sollte nicht gleich als ästhetisches Verbrechen geahndet werden.