Die Cie. Tchétché mit dem Tanzpoem «Dimi» im Haus der Kulturen der Welt

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berlin 1 Mar 2000German

item doc

Natürlich muss sich zeitgenössischer afrikanischer Tanz gegen hartnäckige Vorurteile zur Wehr setzen. Wie man fernöstliche Bewegungskulturen gern vom Stillstand her definiert und westliche durch ein grundlegendes Misstrauen gegenüber dem Körper, so wird dem afrikanischen Tanz das Rituelle, Naturnahe und Unverdorbene zugewiesen. Aber wie immer, wenn Klischees im Spiel sind: Ein Körnchen Wahrheit bergen sie doch. Das Haus der Kulturen der Welt präsentiert jetzt in seiner Reihe "Africa. On the Move" zwei prägnante Beispiele für aktuelles Tanzschaffen aus Westafrika. Sie sind dazu angetan, mitgebrachte Erwartungen einerseits zu bestätigen, andererseits glanzvoll zu demolieren. Die Compagnie Tchétché, 1997 von Choreografin und Tänzerin Béatrice Kombé Gnapa als reines Frauenensemble gegründet, zeigte ihr kompaktes Tanzpoem "Dimi". Vier Darstellerinnen und zwei Musiker (Flöte und Keyboard) zeichnen darin ein Porträt heutigen städtischen Lebensgefühls in Westafrika. Dabei wissen sich die Künstler zwar den Traditionen offenkundig verpflichtet, doch haben sie aus ihr schon längst eine eigene, neue Sprache zu formen verstanden. Die sonst offene Bühne im Theatersaal des Haus der Kulturen ist durch schwarze Stoffbahnen eingegrenzt, um frontale Sicht zu gewährleisten. Schon damit wird die herkömmliche Vorstellung unterlaufen, afrikanischer Tanz finde stets irgendwo auf einem Dorfplatz statt. Bei Tchétché – zu deutsch Adler – dagegen ist man am Theatralen interessiert. Die kraftvoll-geschmeidige Bewegungssprache, die unerhört präzise rhythmische Artikulation und die sauber gesetzten Stimmungen lassen niemals vermuten, man wohne hier etwas Ungefährem bei. Genau kalkuliert ist das choreografische Zusammenspiel von Musik, Raum und Personenführung.

Und doch strahlt die Arbeit eine ganz und gar ungewohnte Wirkung aus. Alles ist eigentümlich konkret und durchpulst. Die diskursiv angekränkelte Bewegung, die Intellektualismen der westlichen Tanzavantgarde fehlen hier völlig. "Dimi" heißt zu deutsch Schock oder plötzlicher Schmerz, und genau darum geht es, im übertragenen wie auch im Wortsinne. Die komplizierten Begegnungen zwischen Menschen samt aller Sehnsüchte, Abstoßungen, Feindseligkeiten, aber auch Nähe und Solidarität werden eindringlich dargestellt. Das funktioniert rein tänzerisch mit räumlichen Arrangements, dynamischen Hebungen, rasanten Schrittfolgen, manchmal aber auch detailverliebt und illustrativ: eine innige Umarmung, ein Paartanz, ja selbst die pantomimische Darstellung eines Adlerfluges (das Freiheitsmotiv im Namen der Kompanie lässt grüßen). Vieles, was aus traditionellen Tänzen der Region entlehnt wurde, bleibt dem ungeübten westlichen Blick vermutlich verborgen.

Klischeehaft "Afrikanisches" bedient Béatrice Kombé Gnapa nur mit Zitaten: ein bisschen Fußstampfen hier, ein wenig das Becken wiegen da, dazu noch zwei lange Solopassagen für die Musiker. Das muss für's folkloristische Fach reichen. Der Rest ist Tanzdichtung.