Mikro am Bein.

«Mannahatta 5» von Ingo Reulecke & Cie in der fabrik Potsdam

Märkische Allgemeine 7 Feb 2000German

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Schlendernd treten die Tänzer von allen Seiten auf; die offen daliegende Bühne in der Maschinenhalle wird zum öffentlichen Ort, zur zufälligen Begegnungsstätte von vier Tänzerinnen nebst Choreograf. Sie werden eine gute Stunde lang versuchen, sich auf diesem Platz und diesen Platz durch sich zu definieren. ‘Aneignung von städtischem Raum’ heißt das im hilflosen Deutsch der Stadtplaner. Auch Ingo Reulecke und seine Compagnie wirken bei ihrem Bemühen hilflos, doch ist diese Hilflosigkeit genau kalkuliert.

Reulecke wollte mit „Mannahatta 5“ ein Stück über die Großstadt erarbeiten, über Anonymität und die Exzesse des Einzelnen, sich darin Aufmerksamkeit zu verschaffen, und sei es nur für Sekunden. Das aber wird schnell zur negativen Spirale: Je dringender die Menschen nach Aufmerksamkeit heischen, desto abgestumpfter reagiert die Umwelt. Diese Alltags-Beobachtung hat die Compagnie zu brillanten Bewegungsrecherchen angestiftet: Unendlich verdruckst und verschraubt, taumelnd, verschroben und grotesk gleiten die Tänzerinnen über die Spielfläche, sorgsam darauf bedacht, möglichst viel Abstand zueinander zu bewahren. Es sei denn, sie finden sich zu kleinen Freundschaftsinseln im urbanen Ozean zusammen: Dann sitzen sie entspannt plaudernd da und nehmen die um sie her rutschenden, zum Teil auch aufreizend sich spreizende Kollegenschaft überhaupt nicht mehr wahr. Besonders Ingo Reulecke, ohnehin schon hochgeschossen, erweist sich bei solchen Szenen als Schlenkermeister vom Dienst.

Doch was als Bewegungsrecherche brillant ist, wird in seiner pointillistischen Komposition am Ende zum Problem. Die bloße Aneinanderreihung von städtischen Stimmungsbildern ermüdet auf die Dauer. Zwar gibt es einige dramaturgische Höhepunkte und inszenierte Zäsuren – plötzliches totales Innehalten von Musik und Bewegung; matte Lichtquellen am Boden, die aus dem Dunkel hier einen Rücken, da ein Bein herausleuchten; ein rasantes Giraffen-Quartett, bei dem die Arme hinter dem Rücken verschränkt bleiben –, doch entsteht dadurch noch keine Struktur, und der Betrachter treibt irgendwann selbst einigermaßen haltlos durch die Bewegungsfluten. Wie auch die Tänzerinnen: Immer wieder wollen sich einzelne mit Hilfe eines Mikrofons Gehör verschaffen und Stellung beziehen. Es gelingt ihnen nie, und schließlich bindet sich eine das Mikro einfach ans Bein. Durch die Fortbewegung umhergeschleift, gibt es zumindest Schabgeräusche von sich – auch eine Form tänzerischer Spurbildung.

Ansonsten ist die Geräuschkulisse, der soundscape von Sebastian Hilken und Eric Gradman aus aufgezeichneten Stadtklängen und mit Wäscheklammern, Cello oder Mundharmonika live erzeugten Kunstlauten behutsam arrangiert, bleibt allerdings ebenso episodisch wie das auf der Bühne gezeigte Straßen-Leben. Hier wie dort ist nichts endgültig, hält sich kein Raumgebilde länger als ein paar Augenblicke, ist jede Stimmung flüchtig, vergeht alle Szenerie rasch. Mit einem Unterschied: Auf der Bühne bewegt man sich dabei brillanter.