Im Schatten des Erfolgs

Eine Wiederaufnahme von Luc Dunberry an der Schaubühne

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berlin 1 Feb 2000German

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Alle redeten von Sasha Waltz. Ihre Tanz-Schaubühneneröffnungspremiere „Körper“ hatte ein Fanal setzen sollen für innovative Formen genreübergreifender Theaterarbeit. Die meisten Fachvertreter zeigten sich indessen davon irritiert: Den Theaterleuten war das Stück zu wenig narrativ – sie hatten Sasha Waltz vor allem als Milieu-Geschichtenerzählerin in Erinnerung. Der Tanzgemeinde wiederum griffen Waltz und ihr Ensemble zu hoch – vor lauter Bedeutungswillen wollten viele den Tanz nicht mehr sehen. Mittlerweile haben die dicht gefüllten Spielpläne der Stadt alle Aufmerksamkeit wieder auf jeweils vertrautes Terrain gelenkt. Tanz- und Theaterschuster können bei ihrem Leisten bleiben.

Dabei soll sich an der Schaubühne das Tänzerische keineswegs mit „Körper“ erschöpft haben. Im Gegenteil: ein Wiederaufnahme-Reigen steht an (vorerst noch mit „stil-reinen“ Arbeiten in der Originalbesetzung), Solo-Programme einzelner Tänzer, Tanzuraufführungen und gemeinsame Projekte mit Schauspielern sind in Vorbereitung. Entsprechende Vorhaben sind programmatischer Teil des künstlerischen Neubeginns an der Schaubühne.

Ähnliches gab es auch an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, seit Johann Kresniks Choreographisches Theater ab der Spielzeit 1994/95 dort mitmischte. Von Castorfs anarchischen„Nibelungen“ mit den wilden Walkürentänzerinnen bis zu Kresniks jüngstem, genussvoll-pompösem „Don Quixote“ mit Karin Neuhäuser als letzter Vorleserin des Marxismus gab es über die Jahre hinweg eine Reihe von Tanz/Schauspiel-Stücken; einen Höhepunkt bildet darin Kresniks Inszenierung von „Richard III.“ im Rahmen des Prater-Projektes „Rosenkriege“. Gleichwohl ging der tänzerische Anteil im Repertoirebetrieb oft unter, wirkte die Gleichberechtigung beider Sparten bisweilen eher episodisch. Wird es die Schaubühne anders halten? Das hoffen viele und kann doch niemand wissen. Erste Einblicke in Aspekte des Tanzschaffens am Lehniner Platz gibt am 26. 2. zunächst Luc Dunberry mit seinem bewegungsdramaturgischen Kammerspiel „Anything Else“: In einem kaum definierten, aber szenisch vielseitigen Bühnenaufbau aus Zellen mit wunderlichen Klappen, Luken und Öffnungen werden bei düsterem Licht die teils aggressiven, oft depressiv verlangsamten, fast immer sinnentleerten Begegnungen zwischen Menschen illustriert. Machtspiele, sanfte Verzweiflung und offener Wahnsinn treffen im hartnäckigen Verteidigungskampf um jämmerliche Revieransprüche in überraschend stillen, manchmal fast meditativen Passagen aufeinander, die doch immer von fröstelnder Kühle bleiben. Menschlicher Wärmeaustausch findet nicht statt. „Anything Else“, uraufgeführt 1998, ist eindrucksvolle tanzdramaturgische Studie und zugleich Akzentsetzung eines viel versprechenden Tänzerchoreographen.

Luc Dunberry kam 1996 als Tänzer zu „Sasha Waltz & Guests“. Eigentlich war der gebürtige Kanadier bloß für ein vier-monatiges Projekt nach Berlin gereist. Mittlerweile sind vier Jahre daraus geworden, und Dunberry hat in den erfolgreichen Produktionen „Allee der Kosmonauten“ (1997 zum Theatertreffen eingeladen) und „Na zemlje“ (1998) mitgetanzt sowie zwei eigene Arbeiten vorgelegt: „No Thanks, I’m fine“ 1997 und 1998 eben „Anyhing Else“. Sein Ansatz unterscheidet sich in vielem von dem seiner Chefin: Er ist weniger expressionistisch, setzt stark auf verdichtete Atmosphäre, sucht immer narrative Linien. Dunberry hat eine Theaterausbildung durchlaufen, ehe er sich gänzlich dem Tanz widmete. „Mir geht es nicht um reine Bewegung oder um Abstraktion. Ich will Dinge des Alltags behandeln, Szenen aus dem wirklichen Leben verarbeiten. Bei mir darf man die Realität wiedererkennen ...“, sagt Dunberry und verweist auf sein begriffliches Vorbild Lloyd Newson. Dessen Tanzstücke trügen den Untertitel „physical theatre“. Der Bewegungseffekt sei hier nie Selbstzweck, sondern immer Hilfsmittel der Erzählung. „Tanztechnik und Virtuosität interessieren mich nicht vordringlich. Es geht um Empfindungen, Stimmungen, um ein ‘Feeling’. Das klingt sehr nach Klischee, aber tatsächlich will ich mich an realen Menschen orientieren, nicht an Kunstfiguren.“ Das scheint ganz auf Linie zu sein: Die (Wieder-) Aneignung von Wirklichkeit gehört zum guten Manifest-Ton neuer Leitungsteams an Berliner Bühnen.

Doch Dunberry zögert bei der Antwort auf die Frage, ob denn die Zusammenarbeit mit Schauspielern und Tänzern bei der Suche nach „echten Figuren“ funktionieren werde. „Das ist sehr schwer zu sagen, so ins Blaue hinein. Es kommt auf den einzelnen Regisseur an, auf seine Konzeption, seine Offenheit gegenüber anderen Ausdrucksformen. Ich persönlich kann mir das gut vorstellen, ich habe ja keinen technischen Schwerpunkt, sondern einen darstellerischen. Aber für die Schauspieler ist das vielleicht etwas anderes. Möglicherweise muss erst eine gemeinsame ‘Arbeitssprache’ gefunden werden ...“ Der französische Tanzkonzeptkünstler Jérôme Bel tastet sich bereits an diese Aufgabe heran. Sein Stück für Schauspieler und Tänzer ist für die Jahresmitte geplant. Bis dahin sollte man auch jenseits von „Körper“ das tänzerische Potenzial der Schaubühne erkunden. Es dürfte ein lohnendes Projekt sein.