Reigen seliger Bilder
Eine altmodische "Coppelia" für die Deutsche Oper
Im Wettrennen der Berliner Opernballette um die altmodischste Klassikerinszenierung zeichnet sich ein Etappensieg der Deutschen Oper ab. Nach dem uninspirierten „Nußknacker“ vor Jahresfrist an der Staatsoper, einer charmanten, über 30 Jahre alte „Cinderella“ an der Bismarckstraße und Richard Wherlocks trampeliger „Fille mal gardée“ an der geplagten Komischen Oper im Frühjahr und der braven jüngsten „Giselle“ Unter den Linden zaubert die Ballettdirektion der Deutschen Oper nun eine durch und durch harmlose „Coppélia“ hervor.
Dabei sollte sich gerade aus der spätbiedermeierlichen Schauergeschichte um den wundersamen Puppenmacher Coppelius, der sein lebensgroßes Geschöpf, die hübsche Coppélia, mit Seele und Odem ihres leichtgläubigen und liebestollen Galans Franz erfüllen will, wovor nur dessen beherzte Verlobte Swanilda ihn retten kann, indem sie selbst in die Rolle des Automatenmädchens schlüpft und ihrerseits den tollen Professor nasführt – aus dieser Geschichte und ihrer schmissigen Musik von Léo Delibes also sollte sich im Zeitalter von Anthropotechnik und Klonierungs-Ängsten ein aktueller Funke schlagen lassen. Davon aber ist Ronald Hynd, britischer Ballettverfertiger ohne kreative Ambitionen, weit entfernt. Er hat einfach seine vor fünfzehn Jahren in London vorgelegte Version des Stücks (der Pariser Uraufführung von 1870 und einer späteren Fassung von Marius Petipa aus dem Jahr 1885 nachbuchstabiert) nach Berlin verpflanzt und dabei gemeinsam mit Ausstatterin Roberta Guidi di Bagno alles Heutige konsequent vermieden. Da säuseln die Kostüme in unglaublichen Pastelltönen, da prunkt die Bühne mit den pusseligen bunten Bürgerhäuschen einer galizischen Kleinstadt (wie es das Original-Libretto will) und einer frankensteinischen Automatenwerkstatt samt schmauchendem Kamin und gotisierenden Spitzbögen, dass sich selbst das skandalös verkleinerte Ballettensemble von nur noch 30 Mitgliedern in den großen Aufzügen auf engstem Raume drängeln muß.
So blieb für Christine Camillo vieles wettzumachen. Die Doppelrolle als Bürgermeisterstochter Swanilda und vermummte Puppe Coppélia hat sie bereits mehrfach als Gast in London getanzt. Insofern konnte sie auch in Berlin bei den anspruchsvollen Solovariationen des 2. Aktes durch klare Attacke und sicheres Equilibre überzeugen. Doch bleiben das dramaturgische Potential der Maschinenmenschen und die balletthistorische Frage nach dem Verhältnis zwischen tänzerischer und mechanischer Kunstbewegung völlig unberührt. Weswegen an dieser „Coppélia“ paradoxerweise der dritte Akt mit seinen figuralen Szenen am überzeugendsten gerät – hier nämlich wird ein Blick weit zurück in die emphatische Frühzeit bürgerlicher Selbst- und Weltverherrlichung gewährt. Vor die Vermählung hat der Librettist ein Potpourri allegorischer Szenen gesetzt, die von Kirchweihe über Krieg und Frieden bis zu Frömmigkeit und Stunden-Walzer reichen. Sie sind von Ronald Hynd zwar stark zusammengekürzt, in ihrer anachronistischen Machart aber beredtes Zeugnis einer rückwärtsgewandten Oberschicht, deren ethische Grundüberzeugungen sich noch ohne weiteres als Reigen seliger Bilder fassen ließen.
Vielleicht war beim Premierenumtrunk der anwesende Kultursenator deswegen auch so heiter gestimmt. Im Ballett herrschen eben noch klare Verhältnisse. Jedenfalls ließ es sich der kommissarisch agierende Intendant der Deutschen Oper, André Schmitz, nicht nehmen, für sein Ballett alle Fusionierungsbestrebungen abzuwehren – wozu die Hände des Kultursenators (nicht aber die des ebenfalls anwesenden Haushaltsexperten Wowereit) müde applaudierten. In seiner Entgegnung schwieg Stölzl übrigens zu allen BerlinBallettFragen. Er dankte ganz einfach André Schmitz für dessen Leistungen bei der Sanierung der Deutschen Oper und für die positiven Akzente im gegenwärtigen Gezänk um die Bühnenstrukturreform. Zur „Coppélia“ aber hatte niemandem der sonst so redegewandten Sprecher etwas Rechtes einfallen wollen.