L'autre et moi

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berlin 1 Feb 2000German

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„Unsichtbarst“ hieß die letzte Soloarbeit von Anna Huber. Es war ein tänzerisches Kammerspiel, uraufgeführt in einem Museums-Raum, von allen Seiten den Blicken völlig preisgegeben. Ein paradoxer Titel, denn Thema war vor allem das Zurschaustellen, die Haut als Schnittstelle zwischen tänzerischer Selbstwahrnehmung und beobachtendem Zuschauerblick. Die in der Schweiz geborene und nach einigen Jahren am Cottbusser Staatstheater nach Auflösung des dortigen Tanzensembles zurzeit meist in Berlin tätige Tänzerin geht in ihren Bewegungsrecherchen seltsame Wege, und manchmal scheint es tatsächlich, als löse sie sich dabei auf, entschwinde dem Blick, schlüpfe in Raumfugen und Zeitlöcher. („In Zwischen Räumen“ hieß denn auch ein anderes Solostück Hubers.) Sie hat eine Ästhetik der Zerdehnung entwickelt, bei der jede Bewegung nicht unbedingt langsam, aber mit größter Sorgfalt, mit Verwunderung, Staunen, manchmal auch Unglauben ausgeführt zu werden scheint. Aus diesem leicht verschrobenen Ansatz entstehen eigenartig ornamentale, verschlungene Bewegungsbilder: seltsam unverbundene Arme, staksende Storchenbeine, Verwindungen und Verschraubungen. Die Ganzheit des Körpers zerfließt, ohne dass man je den Eindruck des Aggressiven, des Verzerrten hätte.

Diesen sehr einzelgängerisch versonnenen Stil hat Anna Huber nun einem ganz fremden, ganz anderen Bewegungsbild gegenüber gestellt. Gemeinsam mit Lin Yuan Shang, einem in der Tradition der Pekingoper geschulten, nunmehr seit Jahren schon in Paris lebenden Taiwan-Chinesen, ist das Duo „L’Autre et moi“ entstanden. Es sollte eine Konfrontation zweier völlig unterschiedlicher Kunstauffassungen sein, ein ästhetisches Experiment, ein keineswegs multi-kulti-modisches Abenteuer des Anderen. Die beiden setzten sich während der Probenphase immer wieder fremder, unvertrauter Umgebung aus, damit sich keinerlei Gewöhnung einstelle. Alles Ergebnis sollte von der Arbeit am Anderen zeugen. Herausgekommen ist bei diesem Projekt eine phänomenale Skizze dessen, was zwei gegensätzlichen Körperbildern gemeinsam möglich ist.

Schemenhaft bleiben beide zunächst im fahlen Lichtkegel an der nackten Rückwand. Kleinste, kaum wahrnembare Bewegungen irritieren den Betrachter mehr, als dass sie ihm irgend etwas zeigten. Feines elektronisches Knistern und Grollen setzt eine unbestimmte Stimmung. Nach und nach werden ihre Regungen deutlicher: eigenartige Greif-, Schreit- und Stelzbewegungen, manchmal synchron, manchmal spiegelgleich, manchmal völlig unverbunden. Es wird fast ein halbe Stunde dauern, bis die beiden ungleichen Partner – sie schmal und zartgliedrig, er stämmig und standfest – sich erstmals gefährlich nahekommen. Aber auch dann bleiben sie sich fern, einander buchstäblich entrückt. Gemeinsam isat ihnen nur das Instabile: kaum eine Bewegung, die nicht ein verstörtes Ende nähme, kaum ein Impuls, der sich einfach entlädt. Statt dessen knickt immer ein Gelenk ein, rollt der Kopf zur Seite oder verhakeln sich die Beine. Ganz ohne dramatischen Überbau, sondern einzig aus der Bewegung selbst entsteht so ungemein suggestive Spannung. „L’Autre et moi“ ist ein beiläufig wirkendes Meisterwerk lakonischer Bewegungsintensität.