Den Stöckel im Nacken
Die Cie. Toula Limnaios tanzt in „ysteres“ zum Thema Hysterie
Rasant geschnittene, aggressive Videoeinspielungen zeigen zunächst farbenfrohe Bildschirmschoner-Bällchen, dann Plastikmasken und -fratzen sowie Ballerina-Barbies und ähnlich billige Bildsäulensurrogate. Gegen diese Künstlichkeit der Plastikwelt und des Erstarrten setzen die beiden Tänzerinnen ihr Arsenal zwanghafter, entfremdeter und „wahnsinniger“ Bewegungen. Sie wechseln von Autoaggression zu kindlicher Selbstbetastung, sind rasend-getrieben oder beschaulich-sinnierend, versunken oder gehetzt. Meist nehmen sie sich gegenseitig dabei gar nicht wahr. Auf die Bühne gekommen waren sie in erschöpft gebückter Haltung, in eigenartig schlabbrigen, fleischfarbenen Bodies mit Körbchenübergröße, und als Zeichen der verdrängten seelischen Traumatisierung saß ihnen ein Stöckelschuh im Nacken.
Nach ihrem klinischen Dialog mit derartigen Bild-Symptomen stehen Muñoz und Stadler gebeugten Hauptes da. Eine Stimme spricht: „Die einzige Spur von Leben – eine Gestalt.“ Deutlicher lässt sich der unbedingte Wille zur Bedeutung kaum formulieren. Trotzdem besteht die Kraft von „ysteres“ weniger in solch diskursiver Schwängerung, sondern in der hybriden Überlagerung von Videobild, Klangkulisse, Tanz und Ikonographie. Wie auch das erste Stück des Abends, die Wiederaufnahme von Limnaios’ Solos „vertige“ (Uraufführung war im Februar dieses Jahres), steht das Stück für beides: formale Recherche und beherzten Tiefgang. „ysteres“ hat allerdings das glücklichere Mischungsverhältnis gefunden.