Körper zu Waffen!
Der Tanz wird von der Globalisierungsdebatte eingeholt
Plötzlich aber kippt der kalkulierte Voyeurismus um. Die am Boden liegenden Leiber beginnen zu zucken und zu zappeln wie Fische auf dem Trockenen und formieren sich zu einer Angriffsphalanx. Die acht Tänzer werfen sich mit Haut und Haaren – mehr haben sie ja auch nicht – gegen das Publikum. Erbarmungslos jagen sie kuschelnde Pärchen, notierende Journalisten und weintrinkende Einzelgänger durch den Saal. Dazu klatscht ihre Haut so vernehmlich auf den Tanzboden, daß es einem angst und bange werden will. Und erst wenn jeder Zuschauer seinen Platz geräumt hat, erheben sich die Kämpfer und kleiden sich an.
Dann folgt der ausdrückliche Teil. Mit der Verlesung von Menschenrechtserklärungen und Sozialchartas, mit dem gerappten Aufsagen politkultureller Schlüsselbegriffe („Der Euro kommt“, „Coke forever!“, „Auschwitz“, „Wir sind das Volk!“) und tribalistischen Stampfformationen ziehen diese Kämpfer wider kulturelle Vereinheitlichung und ethischen Fatalismus durchs verstörte Publikum. Sie sind zu einem Troß von Attak-Aktivisten geworden und nehmen ihren Körper als ihre wirksamste Waffe mit aufs globale Schlachtfeld der Systeme und Gesellschaften. „Such stuff as we are made of“ ist ein unheimliches, ein bestürzendes Stück, das dank der akzentreichen Programmpolitik des Potsdamer Veranstalters „fabrik e.V.“ erstmals in Deutschland zu sehen ist.
Wie anders da Jan Fabre! Dessen orgiastische Materialschlacht „As long as the World Needs a Warrior’s Soul“, uraufgeführt auf der Hannoveraner Expo 2000, will ebenfalls die dunklen Flecken der Gesellschaft verhandeln, ihre verworrenen Begriffe von Schuld und Strafe, Scham und Lust. Locker verbunden durch einen Monolog der Ulrike Meinhoff über ihre Qualen während der Isolationshaft breitet Fabre aber lediglich ein Pandämonium grenzdebiler Regressionsfanatiker aus. Man beschmiert sich mit Nutella, Ketchup und rohen Eiern, frißt Butter und brüllt imaginierte Geburtswehen hinaus. Doch immerzu kommen bloß Barbiepuppen heraus.
„Ihr habt Schiß vor der Sinnlichkeit!“ ruft ein Tänzer in den Saal. Vermutlich sollen wir erschrocken zusammenzucken. Wirklich erschreckend aber ist an Fabres überaus dekadenter Dekadenzkritik die totale Aufgabe des Argumentativen. „A Warrior’s Soul“ gibt sich als Affekttableau gegen eine an ihrer eigenen Vernunftfixierung irre gehenden Moderne – als eine Art heimeliger Globalisierungskritik. Doch fällt Fabre wenig mehr dazu ein als seine Darsteller zu greinenden und ihrer eigenen Triebbefriedigung nicht fähigen Weltpatienten zu machen. Der verletztliche Menschenkörper, seit neuestem nicht nur Metapher für das Individuum und seine Triebstruktur, sondern potentielle Massenvernichtungswaffe, wird in „A Warrior’s Soul“ zum beklagenswerten gargantuanischen Genußgefäß. Und jeder steht sich selbst im Wege. So zielen auch die eingestreuten Unmutsäußerungen über die westlichen Wohlfahrtsdemokratien auf deprimierende Weise ins Leere. Der Zustand der Welt mag ein kriegerischer geworden sein. Mit den Waffen von Jan Fabres Kriegerseelen wird man ihr indessen an keinem Punkt gerecht werden können. Denn längst schon geht es um viel mehr als um Nutella auf nackter Haut.