Die Freiheit ruft
Improvisierte Impressionen von Steve Paxton und Lisa Nelson
Sein „Werkkatalog“ liest sich wie die unendliche Fortschreibung eines Manifestes für die Entgrenzung der Formen und gegen alle Hierarchie, gegen den dramaturgischen Blick und für die Fülle des Lebendigen. Pathos wird dabei weder gesucht noch vermieden. Aber sowohl Praxis wie Theorie der Improvisation, also jener Form der regellosen Bewegtheit, die nur der Anatomie des Tänzers, seiner Stimmung, Gefühlslage, Verfassung lauscht und diese zur radikal-subjektiven Kunstgrundlage macht, können eine gewisse Emphase nie vermeiden. Gemeinsam mit seiner engen Mitarbeiterin Lisa Nelson war der inzwischen über 60-jährige Steve Paxton jetzt bei den Potsdamer Tanztagen zu Gast in der fabrik – eine kleine Sensation, die Vertreter der Tanzgemeinde aus der gesamten Region in Scharen anzog, ist doch Paxton längst ein Mythos der Moderne geworden.
Gleichsam als Lockerungsübung zeigten die beiden zunächst je eine kurze Solo-Improvisation. Hier wie auch bei der folgenden gemeinsamen Nummer „PA RT“ gibt es nur lose Vorgaben: etwa Musik- und Geräuscheinspielung, räumliche Anordnung und einzelne Lichtstimmungen. Ansonsten aber ist das Geschehen niemals gleich und soll es auch gar nicht sein. In Nelsons Solo „Memo to Dodo“ ruft eine Stimme ihr andauernd Fernbedienungsbefehle zu: „Stopp“, „Zurück“, „Weiter“. Scheinbar lässt Nelson ihre Bewegungen auch vor- und zurücklaufen. Aber natürlich funktioniert das nicht. Anders als im Reich des Technischen nämlich ist menschliche Bewegung unwiederholbar und immer einzigartig. Fertige „Werke“ oder „Produkte“, die man „reproduzieren“ könnte, gibt es im Tanz nicht. Die Improvisation behauptet das auch gar nicht erst. Statt dessen wird das Zuschauen hier zur ebenso freien Tätigkeit wie das improvisierende Tanzen selbst: Jeder darf machen, was er will.