Aus der Freiheit geboren
Jazz-Liebe: Trisha Browns 'El Trilogy' im Berliner Hebbeltheater
Bis „King“ Leon James auftauchte, blieb die „Cat’s Corner“ leer, jene Ecke im legendären Harlemer Tanzclub „Savoy“ , die den Besten vorbehalten war, das Allerheiligste im Tempel derer, die in enger Tuchfühlung mit der Musik, dem noch jungen Jazz, Schritte erfanden und rhythmisierten und die Einheit des Paares, das sich um sich selbst drehte, auflösten, um es den Musikern in ihren Soloausflügen gleichzutun.
Nirgendwo gab es fruchtbareren Wettstreit: zwischen den Bands, die auf zwei Podien spielten, und zwischen den Tänzern, die sich gegenseitig mit ihren Ideen überboten, denn kopieren war streng verboten, aber auch zwischen Musikern und Tänzern, die sich damals noch so nahe waren, daß die Musiker auf den Rhythmus der Tänzer lauschten, wie es Lester Young einmal formulierte. Von dieser Verschwörung, diesem Hin und Her zwischen Absprache und Spontaneität, lebt das neue dreiteilige Werk „El Trilogy“ der New Yorker Choreographin Trisha Brown, das in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten, dem Trompeter Dave Douglas, entstand. Schuld daran ist ein Bild eben jenes tanzenden Leon James, der an dem Ort, an dem am Schema des Big Band Jazz getüftelt wurde, den Lindy Hop, auch Jitterbug genannt, mit aus der Taufe hob, ein Tanz, der nichts anderes als choreographierter Swing ist.
Ihm widmet die Choreographin den Mittelteil des Abends: „Rapture to Leon James“. Wer sich ein Feuerwerk fliegender Füße, eine Art Battle erhofft hatte, wie sie im Hip Hop wieder gepflegt werden, mochte sich enttäuscht sehen. Brown tut etwas anderes: sie verdichtet die Spuren der lange Zeit vergessenen Erfinder des Jazztanzes (keinesfalls zu verwechseln mit den Bühnenproduktionen gleichen Namens), die rhythmische Kontinuität ihres Tanzens und die Komplexität, die aus den Improvisationen erwächst, unermüdliches Üben und inspirierendes Miteinander zu einem unwiderstehlichen Sog. Tanz als Interaktion, Interaktion als verschlungenes Wechselspiel zwischen verabredetem Miteinander und improvisiertem Alleingang: intime Duette mit irrlichternd improvisierenden Tänzer als keckem Kontrapunkt, chorusartige Reihen, in denen man voneinander lernt, lockere Ansammlungen, wie geschaffen für spontane Einfälle, wilde Getümmel, in denen jeder alles gibt, ein Kreis eherfürchtiger Bewunderung für die akrobatischen Höchstleistungen eines Paares. Im Spielerischen aber offenbart sich die Kraft zur Selbsterfindung.
Am schönsten und eindringlichsten kommt sie in einer einfachen, übersichtlichen Formation aus drei gestaffelten Reihen zur Geltung. Jeder der neun Tänzer ist ganz auf sich konzentriert, probiert aus, überprüft, ändert und schreibt Gefundenes fort. Während er darin ganz aufzugehen scheint, tauscht er fortwährend den Platz mit anderen, sodaß die Ideen überzuspringen scheinen - ein Kessel, der in jedem Augenblick überkochen könnte und dennoch unter Kontrolle bleibt.
Dave Douglas Musik ist dabei ebenso kongenialer Begleiter wie herausfordendes Gegenüber. Wie Trisha Brown die Stilmerkmale dieser „Straßenkultur“, die auf den Off-Beat gesetzten Schritte, die virtuosen Kombinationen in ihrer eigenen Bewegungsform, die sich selbst den Alltagsmustern verdankt, kenntlich macht und in außerordentlicher Komplexität noch weitertreibt, so leiht Dave Douglas Musik ihre Stimme vielen Gattungen und ist dabei nur sich selbst verpflichtet. Das kürzere „Five Part Weather Invention“ steht ganz im Zeichen gegenseitigen Beobachtens und Abtastens. Musik und Tanz umspielen einander, Tänzer verfolgen einander.
Die Bewegungen, die niemand so flüchtig setzt wie Trisha Brown, verlieren sich in Terry Winters großflächiger Federzeichnung, die wunderbar eigenwillige, gelassene Musik löst sich in Melodiefragmente und Geräusche auf, Momente, die dem Katz- und Mausspiel zusätzliche Spannung verleihen. Und auch das Publikum wird einbezogen: mitten in einer rasanten Sequenz wird es vom Sturz einer Tänzerin überrascht, von dem einer zweiten leicht verunsichert, ehe es bei den weiteren versteht: auf das Ausscheren kommt es an.
„Groove and Countermove“ ist ein aus der Freiheit geborenes, leichtfüßiges und sehr sinnliches Stück, eine Liebeserklärung an die Kunst der Sonderwege. Alle Schlachten sind geschlagen: Tanz und Musik, ein jeder seiner selbst und der Bedeutung für den anderen gewiß, suchen sich erfinderisch und erschaffen dabei selbst eine Art Tanz, in dem die Andersartigkeit den Appetit aufeinander schürt. Wie der Impuls von einem Tänzer auf den anderen übergeht und ein unabsehbarer Gärungsprozeß in Gang gesetzt wird, wie die Musik sich weit öffnet für Töne verschiedener Zeiten und Orte, so großzügig und genießerisch begegnen sich die beiden Kunstformen – eine Vision aus alten Zeiten, die plötzlich wieder ganz frisch wirkt.