deufert + plischke in 184 Wörtern stricken

Programme note 22 Feb 2006German

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Contextual note
This text was commissioned by the German Dance Congress 2006, which took place in Stuttgart from 22 to 26 February 2006, and published in their programme book.

Seit sie einander vor funf Jahren kennen lernten, teilen Kattrin Deufert und Thomas Plischke Leben und Arbeit. Sie haben die vorherrschende soziale Fiktion des heterosexuellen Paares durch die Fiktion der Künstlerzwillinge ersetzt; eine Fiktion, welche den unmöglichen Wunsch, mit dem anderen zusammenzufallen, mit einem Moment des Inzests, des Verrats an der Genealogie verbindet. Die zugrunde liegende Frage: “Wie strickt man sich seinen eigenen privaten politischen Körper?” Wie bewegt man sich jenseits der üblichen,jedoch normativen Konzepte von Anatomie, Geschlecht und Sexualität? Wie entwirft man einen Ort für das, was diesem Rahmen entflochen ist, für das Abwesende?

Eine Antwort darauf ist das Stricken. Löcher mit Löcher verbinden, Verlust, Trauma und entfernte Erinnerungen in ein Gewebe aus Mythen und gemeinsamen Geschichten einbinden, einen Ort der Trauer entwerfen. Dies bedeutet auch die kontinuierliche Formulierung und Umformulierung der eigenen Arbeit, um wach zu bleiben, um vorgeschriebenen Mustern zu widerstehen und um die Identität aufs Spiel zu setzen. Und das bedeutet, in einem paradoxen Raum zu verweilen, scheinbar ohne Unterschiede, und die Schönheit mit Melancholie zu tränken. Mit Fernando Pessoa: “Leben ist stricken nach den Absichten Anderer.”