Kritik

Sarma 2 May 2006German

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Kritik ist, wenn man trotzdem lacht. So könnte man durchaus beginnen. Und es scheint klar zu sein, wer da lacht. Mir wird immer schlecht, wenn jemand ’konstruktive Kritik’ einfordert. Wer behauptet, dass Kritik den Kritisierten freut, der lügt. Kritik tut immer weh. Es ist natürlich der Kritiker, der sich diebisch freut über den eigenen scharfzüngigen Esprit und die geschliffene Formulierung, der hämisch ins Fäustchen kichert über den armseligen Gegenstand seiner Kritik. So die gängige Meinung. Manchmal aber lacht er ein dankbares Lachen, wie kürzlich am 8. April Felicitas von Lovenberg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über ihr Glück als Literaturkritikerin. Lovenberg beschreibt das Glücksgefühl, drei Bücher gelesen zu haben, die ihrem Leben eine unerwartete Wendung gaben. Ihr Text handelt davon, dass sie den Gegenstand liebt, den sie kritisiert. Davon spricht üblicherweise niemand.

Wer professionell Kritik übt, egal ob er nun über Bücher, Sahnesößchen im Gourmetrestaurant oder 32 hoffentlich geglückte Fouettes im Schwanensee zu befinden hat, gilt als zynischer, an Selbstüberschätzung leidender Besserwisser, der seine Vernichtungsphantasien auf dem Rücken derer, die können, was er selbst gern könnte, aber nicht kann, ausleben darf und auch noch dafür bezahlt wird. Gewiss ist: Der professionelle Kritiker reagiert anders als der Normalverbraucher. In jedem Fall leidet er an Überfütterung, so dass das Gebotene schon sehr ungewöhnlich, exquisit und/oder überraschend neu sein muss, dass er es überhaupt noch an sich heran, gar in sich hineinlassen will. Bekommt er immer wieder zuviel des Immergleichen, reagiert er polemisch, manchmal auch aggressiv.

Von professioneller Kritik zu reden, ist alles in allem ziemlich langweilig, weil sich der Gegenstand so schnell erschöpft. Und dennoch gibt es an der Berufskritik zwei Merkmale, die es sich lohnt, näher anzusehen. Das eine gehört ins Reich der Legende. Denn die Forderung, dass Kritik, dass ein Kritiker objektiv zu sein habe, ist ein blankes Missverständnis, wenn nicht gar absurd. Natürlich gibt es objektive Kriterien. Es gibt zum Beispiel eine Übereinkunft, dass Fouettes möglichst auf der Stelle gedreht werden sollen und dass das Standbein dabei gestreckt zu sein habe, damit sie als makellos gelten. Und dennoch kann es sein, dass die Ballerina, die das Knie nicht hundertprozentig durchstreckt und beim Drehen leicht Richtung Rampe wandert, besser gefällt als die perfekte Technikerin. Hier setzt etwas ein, was sich der objektiven Bewertung entzieht, das man möglicherweise unter den Rubren Kunst und Persönlichkeit zusammenfassen könnte, etwas, das über die reine Technik erhaben ist und das die Aussage rechtfertigt: Kritik ist immer subjektiv. Denn zu allem Übel kommt hier auch noch der Geschmack ins Spiel. Oder wie ’s so schön heißt: Was dem einen sein Uhl, ist dem andern sein Nachtigall.

Die legendäre Forderung nach der Objektivität von Kritik entspringt der Forderung nach einem gewissen Ethos. Und diese Forderung ist nur recht und billig, sollte ein wesentliches Merkmal von Kritik sein. Kritisieren heißt wörtlich unterscheiden. Die überlegte Unterscheidung ermöglicht gründliche Analyse. Das eine vom anderen zu unterscheiden, impliziert an sich noch keine Wertung. Die Wertung geht leider meist Hand in Hand mit der nicht fundierten Meinung und schafft so ein dummes, undifferenziertes Daumen-Rauf und Daumen-Runter. Bloße Meinung bringt die notwendige Subjektivität in Verruf, weil meinen genauso wie glauben nichts wissen heißt. Die Grundvoraussetzung von Kritik ist aber in der Tat das Wissen um den zu kritisierenden Gegenstand. Nur dann, wenn jemand weiß, wovon er spricht, kann Kritik ernst- und auch vom Kritisierten angenommen werden. Dazu gehört Haltung. Auch Haltung ist immer das Gegenteil von Meinung. Haltung meint Unbestechlichkeit. Und auch Parteilichkeit – in einem sehr einfachen Sinn: Für die Sache sein und den, der sie beherrscht.

Der Begriff Parteilichkeit hat einen Haut gout, obgleich es doch ehrenwert ist, sich für jemanden oder etwas einzusetzen. Parteilicht aber war in jüngster Vergangenheit verknüpft mit ideologischen Lehrmeinungen und ästhetischen Vorgaben, die, wenn nicht eingehalten, oft schlimme Sanktionen zur Folge hatten. Jene, die Kritik übten, wurden verbrannt, verbannt, zur Selbstkritik gezwungen, will heißen, dazu verurteilt, sich selbst an den Pranger zu stellen. Im besten Fall erhielten sie Berufsverbot oder wurden totgeschwiegen. Die offiziell zugelassene Kritik war in diesen Fällen das Zerrbild ihrer selbst: nämlich liebedienerische systemerhaltende Affirmation.

In diesem Land hat man den Nationalsozialismus befördert und die reinblütige deutsche Kunst; man hat in den 1968ern, wenn auch in winzigen Minderheiten, mit verklärtem Blick zur Volksrepublik China hinüberschielt und dabei die blutigen Segnungen der Kulturrevolution übersehen; man hat in einer Hälfte Deutschlands den real existierenden Sozialismus etabliert und damit das Diktat des sozialistischen Realismus in allen Kunstsparten. Jede Kritik, die diesen Namen wirklich verdient, war unerwünscht und wurde ausgeschaltet.

Im Deutschland von heute kann jeder alles und jeden frei kritisieren. Weil Politik, Ideologie und Moral, ja nicht einmal mehr der so genannte gute Geschmack etwas vorschreiben, glauben manche Kritiker ihrerseits, Politik und Stimmung machen zu müssen. Das sind die, die sich selbst für das Maß aller Dinge halten und Kritik verwechseln mit einem wohlfeilen Instrument der Macht. Darüber zu lachen, übersteigt allerdings manchmal auch den besten Humor.