Ist der zeitgenössische Tanz noch zu retten?
Ein Kommentar
12,5 Millionen Euro, das hat die Kulturstiftung des Bundes gerade entschieden, sollen bis zum Jahr 2010 aus ihren Mitteln in die Förderung des Tanzes in Deutschland fließen. Die Sparte wird neu in die so genannte Leuchtturmförderung aufgenommen. Der Haken? Die Stiftung darf nicht institutionell fördern, weswegen der "Tanzplan Deutschland" eine Aufteilung der Gelder auf verschiedene Projekte vorsieht: Workshops, die Einrichtung einer Internetseite oder einen Tanzkongress.
An die Veröffentlichung des "Tanzplans Deutschland" hat sich eine kleine Feuilleton-Debatte angeschlossen. Denn bei wachsender Aufmerksamkeit und steigendem Interesse größerer Publikumszahlen für diese Kunstform ist doch nicht zu übersehen, dass der zeitgenössische Tanz gerade in eine ästhetische Flaute steuert. Aber sind daran wirklich immer alle anderen Schuld, nur nicht die Künstler?
Es ist schon ärgerlich, wie unsachlich Diskussionen über den zeitgenössischen Tanz in Deutschland verlaufen. Nach wie vor werden Fronten gezogen: hier das altmodische Modell der an Stadttheatern und Opernhäusern engagierten Ballett-Compagnien, dort die experimentelle, avantgardistische "freie Szene". Aufrechterhalten wird dieses Bild vor allem von Kritikern, die ihren Platz an der Seite des Choreographen sehen.
Nachdem der Künstler ihnen seine schwierige, experimentelle Kunst erklärt hat, reichen diese Kritiker die Programmheft-Texte umformuliert an ihre Hörer und Leser weiter. Ihre erklärten Feinde sind die Stadttheater. Dort wird die Tradition gepflegt, das Repertoire aber gilt ihnen als ästhetisch überholt und sterbenslangweilig. Dabei ist es so ja längst nicht mehr. An den großen Bühnen gibt es neben "Schwanensee" längst Uraufführungen von Trisha Brown, Susanne Linke oder Jérôme Bel zu sehen. Man stelle sich vor, die Staatlichen Museen würden Rembrandt-Bilder für immer im Depot abstellen, weil die irgendwie überholt seien …Undenkbar.
Die Tanzdebatte aber verläuft genau so. Und da die bösen Stadttheaterstrukturen nicht an allem schuld sein können, müssen für das ästhetische Tief zweitens auch die vielen Festival-Veranstalter haften. Sie seien eine Mafia, die bestimme, wie der freie Tanz auszusehen habe.
Man fragt sich nur: Was sind das für Künstler sein, deren Einfallslosigkeit ausgerechnet ihrer guten Infrastruktur und Vernetzung anzulasten sein soll?
Dabei gibt es zahlreiche gute Beispiele von Choreographen, die erfolgreich an festen Häusern arbeiten, ohne ein Quentchen ihrer künstlerischen Glaubwürdigkeit verloren zu haben. Es hängt von den Persönlichkeiten ab, was sie aus ihrer Situation machen - und von der Überzeugungskraft ihrer Stücke. Anne Teresa de Keersmaeker ist Hauschoreographin an der Brüsseler Oper, wo sie regelmäßig spartenübergreifend arbeitet. Martin Schläpfer zeigt in Mainz, wie man mit Beharrlichkeit und Qualität auch verbesserte Arbeitsbedingungen durchsetzen kann.
Auf keinen Fall sollten Strukturen aufgegeben werden, die Choreographen aus aller Welt anziehend finden, weil sie ihnen die Sicherheit kontinuierlicher Produktion bieten und die Tänzer ordentlich bezahlt werden. Die Unabhängigkeit des Tanzes ist auch gefährlich. Wer sich weigert, für die Operette zu choreographieren, findet eben vielleicht wenig Unterstützung, wenn gespart werden muss.
Wer sich auf eine Konzept-Kunst wirft, die von Theaterwissenschaftlern im Seminar entworfen wird, von dem wird sich das Tanzpublikum gelangweilt abwenden. Das passiert gerade. Jetzt rufen die Vertreter der freien Szene plötzlich nach einer Choreographen-Ausbildung. Choreographen aber bildet man nicht an Hochschultanztagen, auf Projektwochenenden oder Kongressen aus. Jeder gute Choreograph, das lehrt die Tanzgeschichte bis heute, war zuvor ein guter Tänzer. Vielleicht versucht die freie Szene es erst mal so?