Das Röckchen fliegt in unschuldiger Manier
Anne Teresa de Keersmaeker zeigte ihr Stück "FASE" im Bockenheimer Depot
Zwei Frauen in weißen Kleidern, weißen Söckchen und weißen Halbschuhen stehen vor einer weißen Rückwand. Drei Schatten, der mittlere als Überlagerung ihrer beiden Figuren, begleiten sie auf Schritt und Tritt. Die beiden Tänzerinnen lassen zu Steve Reichs "Piano Phase" die Arme schwingen und führen, hintereinander stehend, ohne Unterlaß halbe Drehungen aus. Fast unmerklich verschieben sie sich gegeneinander, bis sie sich plötzlich mit ausgestreckten Armen gegenüberstehen, ohne sich aber zu berühren. Nach einem unstimmigen Anfang kam mit zunehmender Wiederholung der kleinen Phrasen auch die Sicherheit zurück, und Anne Teresa de Keersmaeker und ihre Partnerin Michèle Anne de Mey pendelten sich in perfekter Synchronie aufeinander ein.
"FASE, four movements to the music of Steve Reich" wurde 1982 uraufgeführt und war jetzt auf Einladung des TAT zum ersten Mal in Frankfurt zu sehen. Noch stark vom amerikanischen Minimalismus einer Lucinda Childs beeinflußt, die Alltagsbewegungen auf der Bühne nach mathematischen Reihen variieren ließ, stellt das einständige Stück vom heutigen Standpunkt aus betrachtet die Blaupause für viele von Anne Teresa de Keersmaekers späteren Arbeiten dar. Die für die Choreographin und Tänzerin typischen Figuren der Spirale, der Welle und des in sich verdrehten Achsenkreuzes werden darin gleichsam in Rohform ausge(s)tanzt.
"Come Out" zu einer Soundcollage ist ein Tanz im Sitzen. In hochhackigen Schuhen auf zwei Barhockern plaziert, schlagen sich die beiden Frauen, phasenverschoben, auf die Oberschenkel und kippen den Kopf zur Seite. Zu "Clapping Music", dem vierten und letzten Teil, stehen Keersmaeker und De Mey vor der Rückwand voreinander in einem Lichtrechteck. Zum rhythmischen Klatschen der Musik springen sie mit angewinkelten Knien auf Spitze, sinken wieder ab und bewegen sich auf diese Weise für das Auge fast unsichtbar diagonal zum linken vorderen Bühnenrand vor. Von der rampenparallelen Linie im ersten über den Punkt im zweiten und den Kreis im dritten Teil bis hin zur Diagonalen stellt "FASE" in feinsäuberlicher Reihung die geometrischen Raumprinzipien des Tanzes aus.
Doch die analytische Form, die in ihren Verschiebungen stets dem Muster von Steve Reichs Kompositionen folgt, gibt hier nur einen Rahmen ab, innerhalb dessen sich das Subjekt umso freier bewegen kann. In die ewigen Wiederholungen von "FASE" muß man sich hineinfallen lassen, um sich davon wegtragen zu lassen. Wie ein kleines Madchen hüpft Anne Teresa de Keersmaeker in "Violin Phase", ihrem Solo, das den dritten Teil bildet, um und durch den Lichtkreis, läßt ihr Kleid schwingen und hebt das Röckchen in unschuldig verspielter Manier, bis ihre weißen Schlüpfer zum Vorschein kommen. Dabei gleitet ein Lächeln über ihr sonst so streng dreinblickendes Gesicht, als hätte sie tatsächlich Spaß beim Tanzen. Erschrocken über ihre eigene Ausgelassenheit hält sie am Ende der Phase mitten in der Bewegung inne. Anne Teresa de Keersmaekers "FASE" ist auch sechzehn Jahre nach seiner Uraufführung noch ein faszinierendes Beispiel für die Kunst der lebensfrohen Leichtigkeit, die doch so schwer zu erreichen ist.