Hallo, ich bin Andre Agassi
Jerôme Bel zeigt "The Last Performance" im Mousonturm
Die internationalen Tanzfestivals reissen sich um ihn. Im September wird er an der neuen Berliner Schaubühne auf Einladung von Sasha Waltz ein Stück choreografieren. Jérôme Bel, neben Meg Stuart und Xavier Le Roy der zur Zeit wichtigste Choreograf der Tanzlandschaft, ist ebenso gefragt wie er bei den konservativeren Beobachtern umstritten ist. Er selbst bezeichnet seine Stücke nicht als Tanz, sondern als Choreografie. Schön, aber inhaltsleer, bewegen sich seine Tänzer-Darsteller tatsächlich nicht. Dafür werfen seine witzigen Choreografien Fragen auf, die nicht nur die Ästhetik des Tanzes betreffen, sondern ihren Resonanzboden auch in unserer gesellschaftlichen Realität finden. Eröffnete "Nom donné par l'auteur" (F.A.Z. vom 10. März) spielerisch das Feld der klassischen Ballettästhetik und ihrer Verdinglichung von Körpern, stellt nun "The Last Performance" ebenso scharfsinnig wie unterhaltsam die Frage nach der Identität in unserer nach-industriellen Mediengesellschaft.
Der leere Bühnenkasten des Mousonturms ist mit schwarzen Samtvorhängen ausgeschlagen. Ein Mikrofon steht einsam an der Rampe. Ein junger Mann in einer rotkarierten Jacke tritt vor und sagt: "Ich bin Jérôme Bel". Unbekümmert stellt er seine Armbanduhr, wartet bis sie piepst und geht wieder ab. Ein zweiter Mann in weißer Tenniskleidung tritt auf und behauptet: "Ich bin André Agassi", um dann gekonnt ein paar Bälle gegen die Wand zu schlagen. Zu diesem Zweck öffnet sich der schwarze Vorhang vor der Rückwand des Mousonturms wie vor einer Kinoleinwand. Identität erscheint als Akt der Benennung, als performativer Sprechakt, das das vollzieht, wovon er spricht. Zeitlich begrenzt durch das Piepsen einer Uhr, ist der Körper, der den Namen "Jérôme Bel" oder "André Agassi" vor sich herträgt nur so lange Jérôme Bel, bis er von der Bühne verschwindet.
Ein junger Mann im Samtkostüm gibt sich mit der Frage "To be or not to be" als Hamlet zu erkennen, bevor eine Frau mit langen blonden Haaren und einem weißen Kleid auftritt. Sie sei Susanne Linke, sprach's, legt sich auf den Rücken und beginnt zu Schuberts "Der Tod und das Mädchen" den Anfang von Linkes Solo "Wandlungen" aus dem Jahr 1978 zu tanzen. Kaum hat sie geendet, tritt ein Mann im weißen Kleid auf, gibt sich ebenfalls als Susanne Linke zu erkennen und beginnt mit dem gleichen Tanz. Viermal sehen wir das gleiche Solo als Zitat, vier Körper gehen durch es hindurch, doch spätestens beim dritten Mal ist es egal, ob die Choreografie, die so heißt, wie das, was Bels Stück vollzieht, tatsächlich von Susanne Linke stammt oder nicht. Die Kopie entfaltet ihr faszinierendes Eigenleben, das das Wissen um das Original unerheblich macht. "The Last Performance" erzählt auch davon, wie kulturelle Produktion und Rezeption funktioniert, wenn durch die Medien Archive unseres kulturellen Gedächtnisses sperrangelweit offen stehen und jedes Erinnern zugleich immer auch ein Vergessen bedeutet.
Dabei vertraut Bel auf die Phantasie des Zuschauers wie kein zweiter Choreograf. Indem er seine Versuchsanordnung mit jeder Wiederholung immer mehr ausdünnt, den Tanz mit einem vorgehaltenen schwarzen Tuch abdeckt, so dass jeder seine Erinnerung aktivieren muss, um das zu ergänzen, was nicht mehr zu sehen ist, spielt er dem Publikum dem Ball zu. Am Ende liegt ein kleiner Walkman auf der Bühne. Eine Stimme vom Band liest die Namen der Zuschauer im Saal vor. Damit lässt Jérôme Bel den sicheren Rahmen des theatralen Rollenspiels weit hinter sich und zielt auf den Kern unserer menschlichen Existenz. "The Last Performance" ist ein Endspiel der Subjektivität, die sich zwischen Namen, Zeichen, Bildern und Repräsentationen verstellt, verliert und sich gegen ihr Verschwinden in der potentiell endlosen Wiederholung von bereits Gesagtem, Gelebten und Getanztem doch als äußerst kreativ und resistent erweist.