Körperchen, Körperchen an der Wand

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 15 Sep 2003German

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Mit ein paar gekonnten Zügen erklimmt der Lockenkopf eine Wand aus Lautsprecherboxen auf der rechten Bühnenseite. Er bellt Frank Zappas Dancing Fool in die beiden Mikrophone in seinen Händen, die er nicht nur zum Mund führt, sondern auch gerne mal unter die Gürtellinie rutschen läßt. Ich hab’ keine Ahnung vom Tanzen, deshalb hab’ ich diesen Job hier gekriegt, heißt es gleich zu Beginn des Liedes. Daß er mittlerweile doch etwas vom Tanzen versteht, hat Wim Vandekeybus mit seiner eigenen Kompanie Ultima Vez längst bewiesen. Doch in Body, Body on the Wall, einem Solo, das der flämische Regisseur Jan Fabre für seinen ehemaligen Tänzer geschrieben und inszeniert hat, darf er seine Tanzkunst nur am Ende in einem Video unter Beweis stellen. Während der sechzig Minuten, die das Stück dauert, bleibt er ganz Schauspieler. Fabres Solo ist zwar schon sechs Jahre alt, doch war es Frankfurt bisher noch nicht zu sehen. Diesem Versäumnis hat der Frankfurter Mousonturm jetzt abgeholfen.

Das Stück erzählt von dem Körper eines Mannes, der unter dem Kamerablick einer Frau zum Objekt wird. Pausenlos fotografiert und doch niemals von ihr berührt, beginnt der Mann, seinen Körper mit Hilfe der Fotos anders wahrzunehmen. Er blickt unter die Oberfläche, sieht seinen Muskelapparat, durchleuchtet die Atemorgane und das Ausscheidungssystem, bis er am Ende wieder bei der Haut, der Verbindung zwischen Innen und Außen, Unsichtbarem und Sichtbarem, angelangt ist. Es ist ein klinischer und anatomischer Blick, den er entfaltet, dessen Kälte ihm aber die Möglichkeit gibt, seinen Körper einer Maschine gleich zum schönen Objekt der Begierde zu stilisieren. Weil wir auf der Bühne diesen Körper ständig anschauen müssen, wird er von einer Bühnenassistentin (Sachiyo Takahashi) nach und nach mit Farben bemalt und dabei in verschiedene Zonen unterteilt. Weiß leuchtet sein Gesicht wie eine Theatermaske, gelb die Arme, grün Beine und Füße und blau der Oberkörper - bis sie am Schluß alles pechschwarz übertüncht.

Fabre, dessen Inszenierungen durchdrungen sind von kunstgeschichtlichem Wissen, übersetzt das Szenario des tötenden Blicks auf die Bühne. Festgezurrt wie ein Schwein in einem Schlachthaus, hängt Wim Vandekeybus an zwei Mikrophonkabeln, die ihn mit den beiden Lautsprecherwänden links und rechts an den Bühnenrändern verbinden. Lediglich auf einem kleinen Podest, auf dem ein Stuhl steht, vermag er zu agieren, und nur so weit nach vorne auf das Publikum zu zulaufen, wie es die Länge der Kabel erlaubt. In der Mitte des Fluchtpunkts stehend, springt er direkt ins Auge des Betrachters und setzt sich dort gestützt von allen Raumlinien fest. Fabre entwirft eine Spiegelsituation, auf den auch der Titel des Stücks anspielt. Fragte im Märchen von Schneewittchen die böse Stiefmutter das Spieglein, Spieglein an der Wand, wer die Schönste im ganzen Land sei, fragt Vandekeybus bei Fabre nach dem Körperchen, Körperchen an der Wand, das zum Spiegel seiner Existenz wird.

Doch von dem Ausgeliefertsein, das das vom durchdringenden Blick eines Betrachters seziert Werden mit sich bringt, von der Verletzbarkeit und Offenheit eines derart gehäuteten Körpers, ist auf der Bühne wenig zu sehen. Jan Fabre, der gerne mit dem Animalischen im Menschen jenseits seiner spirituellen Dimension kokettiert, macht Wim Vandekeybus zum uneingeschränkten Herrn der Situation. Vandekeybus bietet sich nicht dar. Er schnappt wie ein räudiger Straßenköter nach jedem, der ihm zu nahe auf die Pelle rückt. Kaum zuckt er mit den Muskeln, weicht seine ihn bepinselnde Dienstmagd erschrocken zurück. Männer sind bei Jan Fabre eben immer noch Männer, und Frauen helfen ihnen dabei gerne auf die Sprünge. Darin liegt bei aller mitreißenden Kraft, die Vandekeybus als moderner Prometheus freizusetzen vermag, die Schwäche der Inszenierung. Wer wie Fabre mit vermeintlichen Archetypen spielt, endet im Theater schnell bei pathetischen Plattheiten.