Masters, Tricksters, Bricoleurs
Was ist zeitgenössische Zauberkunst? (Überlegungen nach einem Vortrag von Brigitte Felderer und Matthias Anton zur Zauberkunst beim steirischenherbst 2010)
Wenn ich die Frage, ob ich zaubern kann, mit „Ja“ beantworte, wäre das wie das Ja-Wort bei einer Eheschließung, ein performativer Sprechakt, der seine eigene Wirklichkeit schafft? Als eine, welche die Tücken des Zauberlehrlings wohl kennt und trotzdem mit unbeirrbarem Interesse der Beobachtung und dem Studium der Zauberkünste ergeben ist, möchte ich hier zur Anregung und Beteiligung einige meiner Beschäftigungen wiedergeben.
Zu Beginn sei erwähnt, dass einige Zauberer im 18. Jahrhundert grosse Anstrengungen unternommen haben, um sich von Verbrechen und Halbwelten abzugrenzen und in das bürgerliche Werte- und Gesellschaftssystem aufgenommen zu werden. Zauberkunst wollte als „rationales Entertainment“ anerkannt werden, als Wahrnehmungsschule und Weiterbildung. Als Kunstpraxis also und nicht als Hokuspokus, der mit irgendwelchen dunklen oder hellen Mächten in Kontakt steht, die ihm behilflich sind. Selbst Goethe unterstützte die Schulung der Zauberkunst seiner Kinder.
Stunden der Täuschung
Mit nobler Kleidung, gut gebildet und weltgewandt wollten die Zauberkünstler weg von der Strasse in die Theater oder in exklusive Salons. Zwei Beispiele: Johann Nepomuk Hofzinser, ein grosser Wiener Zauberkünstler, der die Kartentricks revolutionierte, war ein höherer Beamter im Finanzministerium. Dort hatte er genügend Zeit, um neue Tricks einzustudieren und zu entwickeln. Das einzige Problem war, dass es ihm verboten war, seine Kunststücke öffentlich zur Schau stellen. So gestaltete Hofzinser gemeinsam mit seiner Frau einen Salon, „eine Stunde der Täuschung“, bei der nur geladene Gäste willkommen waren. Die Abende waren exklusiv und sehr unterhaltend. Hofzinser, selbst Theaterkritiker, war redegewandt und zählte zu der selben Schicht wie sein Publikum.
Ein anderer Zauberkünstler war Robert Rodin. Im Sommer 1845 gründete er das erste der Zauberei gewidmete Theater in Europa. Rodin war der Erste, der öffentlich proklamierte: „Ein Zauberer ist ein Schauspieler, der einen Zauberer spielt.“ Und es scheint mir interessant, hier den Gedanken weiterzugeben, dass in dieser Zeit – rund um das Revolutionsjahr 1848, als sich die Arbeiter zum ersten sozialen Aufstand organisierten und Marx von der ersten Schlacht zwischen Arbeit und Kapital sprach – dass sich in dieser Zeit, genau durch diese Schauspieler, die einen Zauberer spielten, in Salons und magischen Soirées ein Theater jenseits der Metaphysik des Theaters entwickelte. Ein Theater also, in dem es nicht um Charaktere, Einfühlung und Katharsis geht, sondern ein, wie wir es heute nennen würden, postdramatisches Theater.
Man könnte daraus schliessen, durch die Beschäftigung mit Zauberkunst sei man immer seiner Zeit voraus. Allerdings muss hier bedacht werden, dass Zauberkünstler sich meist ihrer Tradition sehr verbunden fühlen. Sie führen einmal erfundene Tricks wieder und wieder aus und entwickeln sie, wenn möglich, weiter. Die Zauberkunst praktiziert in gewisser Weise eine Geschichtsschreibung durch Handlungen. Sie führt weit in die Tiefen einer praxisorientierten Auseinandersetzung, was ihr Studium umso reizvoller macht.
Sind Sie Tänzer oder Tänzerin jeglicher Art, wissen Sie sofort, was ich meine. Das Problem stellt sich vielmehr durch die Affirmation von bürgerlichen Werten, mit denen man sich heutzutage vor allem in Kreisen, in denen postdramatisches Theater geschätzt wird und eine gewisse Zeitgenossenschaft Voraussetzung ist, doch eher kritisch auseinandersetzen möchte.
Späße mit der Ordnung der Dinge treiben
Es stellt sich also die Frage, was ist zeitgenössische Zauberkunst? Dies ist nun wohl der Zeitpunkt, an dem die jüngste, vorzügliche Arbeit „Magical“ der Tänzerin und Choreografin Anne Juren mit der Regisseurin Annie Dorsen erwähnt werden muss, in der traditionelle Zaubertricks eine äusserst zeitgenössische und feministische Anwendung fanden.
Aber ich möchte diese Frage hier weitertreiben. Zauber und Wunder liegen nicht so weit von einander entfernt. Zumindest diejenigen, die einem Zaubertrick beiwohnen, erscheint es (im besten Fall), als würde ein Wunder geschehen. Die Gesetze der Realität, wie wir sie kennen und annehmen, scheinen plötzlich aufgehoben.
Zauberkünste erzählen nach wie vor von einem souveränen und zugleich poetischen Umgang mit Technik. Sie betätigen sich, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, auch dementsprechend mit Objekten oder Situationen, die in dieser Gesellschaftsordnung Relevanz haben. Heute scheinen Spielkarten eher banale Objekte zu sein. Früher jedoch galten sie als die Bibel des Teufels und diejenigen, die diese Karten manipulieren konnten, hatten den Ruf, mit dem Teufel zumindest im Bunde zu stehen. Auch die Kieselsteine, die man so leicht verschwinden und wieder auftauchen lassen kann, wurden früher zum Wählen benutzt. Hier wird deutlich, dass Zauberkünstler doch einen gewissen Spass mit der Ordnung der Dinge betreiben.
Heutzutage wird allgemein angenommen, Geld wäre eine der relevantesten Gegebenheiten. Darum sollten Zauberkünstler, die mit der Zeit gehen, Erfolg haben und die Massen anziehen wollen, ihre Tricks mit Geld ausüben. Anstatt Karten oder Tauben zu vermehren oder aus dem Ärmel zu schütteln, sollten sie Geld vermehren. Sie könnten
Geld so lange und so sehr vermehren, bis es auf der Strasse läge und man es gar nicht mehr aufheben würde.
Ich möchte mich hier Matthias Anton anschliessen, der sagte: „Wenn ich zaubern könnte, würde ich den Kapitalismus abschaffen." Und zugleich hinzufügte: „Das wäre natürlich unmöglich, weil sich Zauberkunst mit wirklichen Dingen befasst.“
Entfesselung, dann Austausch
Es gibt bestimmte Grundvoraussetzungen dafür, dass ein Zaubertrick funktionieren kann. Eine davon ist die unterschiedliche Perspektive. Würde Publikum und Zauberkünstler alle das Selbe sehen (und wissen), wäre es dann noch möglich zu zaubern? Ein weiteres (ungeschriebenes) Gesetz ist das des Austausches. Eier werden in Vögel vertauscht, Karten in bunte Tücher. Ihr Wert wird dadurch bestimmt, dass sie Teil eines Zauberkunststückes sind. Dieses Gesetz trat vor allem im 19. Jahrhundert in den Vordergrund. Wurden davor Unverletzbarkeit oder Entfesslungskünste zur Schau gestellt, bei denen das Leben oder zumindest der soziale Status der Künstler auf dem Spiel stand, wurde nach der Anerkennung der Zauberkunst als Teil des gesellschaftlichen Lebens das Spiel mit den Objekten fortgeführt. Interessanterweise geschah dies zur selben Zeit, in der sich Geld als allgemeine Tauschwährung durchsetzte.
Ist der Zauberkünstler also per se eine einzelne, asoziale, hermetische, antidemokratische Figur, die Wissen nutzt, um zu manipulieren, und die Realität auf die eine, ganz bestimmte Art erscheinen lässt? Oder könnten sich mehrere Personen temporär auf eine gemeinsame Perspektive einigen, „Ja-ich-kann-zaubern“ sagen und sich so die Macht und Voraussetzung aneignen, andere Wirklichkeiten zu schaffen. Und das ist wohl eine Kunst, die nicht oft genug geübt, praktiziert und getestet werden kann.