You never know when it stops

Willi Dorners „Dolly and me” im Tanzquartier Wien

Corpus 6 Jul 2008German

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„...das Thema meiner Arbeit betrifft eher unsere amerikanische Definition von Bildern und visueller Kommunikation.”

Roy Lichtenstein

 

Erste Szene von Willi Dorners „Dolly and me”:

Die Tänzerin Satu Herrala steht vorne auf der Bühne. Mit ihr oder besser vor ihr ist eine Kamera aufgestellt. Rechts hinter ihr ist eine etwa 2x3 Meter große Projektionsfläche aufgebaut.

Satu Herrala beginnt zu weinen. Sie beginnt das Bild eines weinenden Gesichts darzustellen. Eines bewegten weinenden Gesichts. Sie performt das weinende Gesicht einer Leinwandgöttin. Das Schluchzen wird übergroß auf die hinter ihr stehende Projektionsfläche geworfen.

Der Wiener Choreograf Willi Dorner beschäftigt sich in seiner neuen Produktion (eine Weiterentwicklung des Stückes „Inbetween” [1]) mit der gesellschaftlichen Aneignung des Aussehens und Verhaltens von Stars der Massenmedien. Abbild, Verkörperung und Inszenierung. Dorner bezieht sich auf Andy Warhol, der die Countrysängerin Dolly Parton 1986 mit seiner Sofortbildkamera fotografierte und nach der, in Anspielung an ihre enorme künstliche Oberweite, das erste Klonschaf „Dolly” benannt wurde.

 

Einschub Nr.1: „Die Massenmedien sind dadurch charakterisiert, daß sie anti-mediatorisch sind, intransitiv, dadurch, daß sie Nicht-Kommunikation fabrizieren - vorausgesetzt, man findet sich bereit, Kommunikation als Austausch zu definieren, als reziproken Raum von Rede und Antwort (parole et réponse), als Raum also einer Verantwortung (responsabilité), – und zwar nicht im Sinne psychologischer oder moralischer Verantwortung, sondern als eine vom einen zum anderen im Austausch sich herstellende persönliche Korrelation. Anders gesagt: vorausgesetzt, man definiert Kommunikation anders denn als bloße(n) Sendung/Empfang einer Information, und sei sie auch umkehrbar durch Feed-Back.” [2]

 

Bei „Dolly and me” wird die Aneignung des Aussehens und Verhalten von Stars unterstützt von unterschiedlichen Stimuli: Bilder, Sprache und Musik/Sound.

Genauer: die Bilder sind Fotokopien von Gesichtern von Stars. Stars aus Film und Kunstgeschichte: Marilyn Monroe, Mona Lisa und allen, die ihnen ähnlich sehen sowie Grafiken von Roy Lichtenstein. Sprache bedeutet in diesem Fall Sätze, die wir alle kennen: „Don’t leave me.” „I thought you love me.” „You’re gonna miss your flight.” Kurze Sprachmomente, die sofort Situationen aufblitzen lassen, unzählige Male gesehen im Kino, im Fernsehen, vielleicht sogar selbsterprobt.

Gekoppelt und überlagert werden diese simulierten Leidenschaften, mit Einspielungen von Musik z.B.: aus Kill Bill, oder Vom Winde verweht. In weiterer Folge werden Aktionen (hinsetzen, Pullover ausziehen u.d.g.) mit übergroßen Sounds gekoppelt.

Satu Herrala und Michael O’Connor performen vorzüglich und in ziemlich hohem Tempo. Sie halten sich die A4-Blätter mit den kopierten Gesichtern vor ihr eigenes, stöhnen, rufen und seufzen die einzelnen Sätze. Sie probieren Posen aus. Sie versuchen eben diese Kopien, diese Gesichter mittels Handkamera besser ins Bild zu setzen, ihnen vielleicht näher zu kommen.

In diese Oberflächen zu schlüpfen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen, denn sie sind zweidimensional, fragmentiert und auch die Geschwindigkeit lässt keine Ausbreitung der Zeit zu, keine Entfaltung. Die beiden Performer sind mit sich selbst, den Bildern und den Apparaten beschäftigt. Sie adressieren den anderen nicht und auch nicht das Publikum.

 

Einschub Nr.2: 1963 versammelte Andy Warhol in seiner „Factory” in New York Tänzer, Transvestiten, Möchtegern-Schauspieler, Maler, Musiker. Warhol ließ alles zu und jeden seine Leidenschaften ausleben. Er dokumentierte all dies mit einer Filmkamera (später auch mit Polaroids). Jeder war als Motiv für die Screen Tests („Probeaufnahmen”) willkommen. Es gibt Hunderte dieser Filme (die bis heute nur zum Teil öffentlich gezeigt wurden), die im Prinzip alle gleich hergestellt wurden: Man musste sich auf einen Stuhl setzen, wurde von einer grellen Lampe angestrahlt, Warhol schaltete die Kamera ein und ging weg. Man war drei Minuten, bis die Filmrolle durchgelaufen war, mit sich selbst und dem Objektiv vor dem Gesicht allein. Die Ergebnisse sind faszinierend, manche Personen versuchen „cool” zu bleiben, andere werden sehr nervös und zünden sich eine Zigarette an, wieder andere bekommen einen Heulkrampf.

 

2008 ist die Selbstmedialisierung und -inszenierung weiter vorangeschritten. „Ich bin alle meine Freunde”, wirbt ein Mobiltelefonhersteller. Fast jede Jugendliche kann eigene Videoclips herstellen. Sofern man die Geräte beherrscht, ist die mediale Präsentation, die selbst inszenierten Leidenschaften unter Umständen leichter als das Miteinander sein.

Willi Dorner choreografiert die Bedienung von Apparaten. Satu Herrala und Michael O’Connor vollziehen sie mit grosser Achtsamkeit und Präzision. Und doch hinterlässt die amüsante Kunst des Schauspiels mittels Bildprothesen und Soundeffekt einen gewissen unangenehmen Hohlraum.

 

Einschub Nr.3: „Die gesamte gegenwärtige Architektur der Medien gründet sich jedoch auf letztere Definition: die Medien sind dasjenige, welche[s] die Antwort für immer untersagt, das, was jeden Tauschprozeß verunmöglicht (es sei denn in Form der Simulation einer Antwort, die selbst in den Sendeprozeß integriert ist, was an der Einseitigkeit der Kommunikation nichts ändert). Darin liegt ihre wirkliche Abstraktheit. Und in dieser Abstraktheit gründet das System der sozialen Kontrolle und Macht.” [3]

 

„Dolly and me” zeigt intermediäre Heterotopien als offensichtliche Bedingungen eines veränderten Seins des Körpers. Zeit und Raum ist vom Bild verschluckt.
Es zeigt ein Spielen als Versuch, den mittlerweile interaktiven Massenmedien doch eine Antwort zu gegeben.

„You never know when I stop”, sagt Michael O’Connor gegen Ende des Stücks. Das Ende geht weiter. Die Inszenierung geschieht nicht nur auf der Bühne, sie zieht sich weiter als „Best Film Ending Ever” auf YouTube. Applaus.

Spätestens dann erfindet sich auch das Publikum in der medialisierte Endlosschleife von emotionalen Posen der Spektakelgesellschaft und den Bildern, deren ästhetische Revolution des Experimentellen längst zur Mainstream geworden ist. – You never know when it stops.

 

Einschub Nr. 4: „I am tired, I am weary. I could sleep for a thousand years. A thousand dreams that would awake me. Different colors made of tears.” [4]

 

Fußnoten

[1] Siehe: CORPUS - Willi Dorner: Uraufführung von „Inbetween (2)” CORPUS - Willi Dorner: Uraufführung von „Inbetween (1)”

[2] Jean Baudrillard: kool killer. Berlin: Merve Verlag 1978, S. 91

[3] Ibidem

[4] The Velvet Underground: „Venus in furs” Album: The Velvet Underground and Nico, 1967.