Wer ist das Theater?

Amanda Piña & Daniel Zimmermann im Wiener Brut: „Teatro - ich bin das Theater“

Corpus 18 May 2011German

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Das Theater bin ich. Ich bin der Raum, das Licht, der Boden. Ich bin der Text, der gesprochen wird. Ich bin der Text, der nicht gesprochen wird. Ich bin die Vorstellungskraft des Publikums. Ich bin die Motivation des Performers. Ich bin die Erwartung. Ich bin die Weisheit und das Unfassbare. Ich bin die Pause. Ich bin der Nebel. Ich bin der Tod. Ich bin das Spiel. Ich bin die Liebe und das Hier sein. Das hier Sein mit dir. [*]

 

In einem Raum, in dem die Geschichten abhanden gekommen sind und nur noch als Kostüme kombiniert mit repräsentativen Sprechakten aufblitzen, versucht nadaproductions unter der Leitung von Amanda Piña und Daniel Zimmermann in ihrer neuen Arbeit Teatro dem Theater auf die Spur zu kommen. „Theater" was ist das eigentlich? Hat „das Theater“ noch eine Relevanz heute in einer Gesellschaft des Spektakels, den unendlichen, neoliberalen Repräsentationsschleifen, in denen jeder seine eigene Performance inszeniert und produziert?

 

Figurationen und permanente Verschiebungen

Das Theater bin ich. Entsteht aus einer Gruppe, die „Ich" sagt und dieses „Ich" zugleich auslöscht, indem es behauptet, immer etwas oder jemand anderer zu sein, Theater? (Von welchem Theater sprechen wir eigentlich?)

Hier in Teatro scheinen die verschiedenen Elemente, die eine theatrale Situation ausmachen, untersucht zu werden. Die Performer benennen das Ephemere und Unfassbare in meist in kurzen Aussagensätzen von „Ich bin...“ und tragen dabei wechselnde Kostüme, die immer auf etwas anderes verweisen. So entstehen Figurationen, die aus irgendwelchen Zusammenhängen wie aus Träumen aufsteigen und sich in einer absurden Diskontinuität und andauernden Verschiebung dem Publikum darbieten. Ist es das, was Theater ausmacht? Jemand, der behauptet, er oder sie wäre etwas oder jemand anderer, und jemand anderer schaut zu? Wodurch entsteht die Alchemie eines Kontakts, durch die sich eine Person und der Raum um sie entfaltet, transformiert, fiktionalisiert? Durch die sich Erinnerungen, von denen man als Zuschauerin nicht einmal selbst wusste, dass man sie hat, plötzlich aktualisieren?

In der Verkleidung eines futuristischen Imkers (oder war es Hermes, der Gott des Redekunst, Gymnastik, Magie und Reisekunst?) eines Cowboys, eines Geschäftsmannes, einer Nixe, einer Alten; als Indianerin, Madame, Pferd, Orakel und Tanathos wagen sich Andrei Andrianov, Ewa Bankowska, Raphael Michón, Amanda Piña und Daniel Zimmermann gemeinsam mit dem Musiker Christian Dergarabedian an eine Dekonstruktion der Konsistenz des Theater. Sie tun das mit Humor und Charme. Mit witzigen und intelligenten Setzungen stürzen sie sich in den Abgrund und erreichen doch keine Tiefe. Sie streifen Grotowskys „Armes Theater", lassen eine ekstatische Katharsis aufblitzen, einen kurzen philosophischen Diskurs über Existenz und Illusion, eine mimische Choreografie, ein Duell in Form Aufzählung der multiplen Aktivitäten des Performens; sie zeigen sich ironisch und kompetent und üben sich in unverletzbarer, liebenswürdiger Heldenhaftigkeit – um am Ende in einen gemeinsamen chorischen Klang aufzugehen.

Es gibt eine kurze Projektion eines Wortgewitters, dann Landschaftsbilder und der Wände des Raumes hinter dem Vorhang desselben Theaterraumes. Das Spiel der Spiegelung erfährt eine Vollendung, als Amanda Piña mit einem Zuschauer feinfühlig in Dialog tritt und Ewa Bankowska nach kürzester Zeit die Worte des Zuschauers nachspricht, um dann sein Antworten zu übernehmen.

Dramatisches, Episches, Mimisches, Postdramatisches, Performatives; dies alles kommt zum Einsatz und bleibt trotzdem unberührt. Thespis als derjenige, der aus dem griechischen Chor aussteigt und „Ich bin (etwas anderes)“ sagt, wird im Programmheft als erster Schauspieler zitiert. Theater, falls man in dieser Allgemeinheit darüber reden möchte, ist eine Beschäftigung mit kulturellen Phänomenen und Prozessen, mit denen sich (ein/e oder mehrere) Akteurinnen konfrontiert sehen. Diese Prozesse von Übersetzung, Aneignung und Identifizierung werden in Teatro als ironisches Spiel dargestellt, in dem ein überdimensionales „Ich“ behauptet, alle Positionen einnehmen und Vorgänge wiedergeben zu können. Vielleicht ist gerade dies eine Spiegelung von kulturellen Tendenzen einer globalisierten Gesellschaft, in der das Dasein über Schablonen und Facebook verhandelt wird und Raum und Zeit in ihrer Verhältnismäßigkeit aufgehoben sind.

 

[*] Freie Textwiedergabe aus Teatro.