Chaoiden Park

Chaoiden Park “Anarchiv#1: I am not a Zombie” von deufert+plischke in den berliner Sophiensälen

Corpus 2 Sep 2009German

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Tanzt der Körper als eine Frage an die Frage, wollte ich sagen, wenn ich fragen darf, an das Offene? Fäden sind durch den Raum gespannt oder hängen von der Decke. Es ist Nacht auf der Bühne. Ein Fenster steht offen. Etwas Licht reflektiert durch die Fensterscheibe in den Tatort. 4 ProtagonistInnen: Steinweg als Zuschauer im Publikum. Deufert, Plischke und Peeters als nackte Schemen im Dunkeln. Eine Gestalt mit gehobenen, beschwörenden Armen. Leises Wimmern und Heulen als Soundtrack und eine weibliche Stimme: Up here is my grey matter. Ausgestreckte Arme, die kleine Kreise in die Luft zeichnen. Kopfschütteln, Kopf werfen. Always already brainwashed. Up here where my grey matter is folded. Diese agierenden Körper geben sich leicht - leichtsinnigen Bewegungen hin. Leichte Berührungen, mit Bewegungszitaten sorgfältig in den Raum geworfen. Tanzgeschichte als skizzierte Spuren. There are fingerprints all over the place. Abstraktion ist nicht gleich formalisierter Tanz, sie vollzieht sich in einem Abstand in Bewegung und Präsenz. Oder wie John Cage sagt: „Ich nehme Abstand von allen Aktionen, die Dinge herausheben, die im Lauf eines Prozesses geschehen. ... Gegenwärtig ist es mir wichtig, daß die Dinge, die geschehen, nicht den Geist auslöschen, der vor ihnen da war.“ [*]

Choreografische Elemente wie springen, vornüberbeugen, Kopf schütteln werden in verschiedene räumliche Anordnungen gesetzt, immer ein wenig off-center. Wiederholungen. Jeder Körper tanzt in der Dauer der Betrachtung. A crime scene. Konzeptuelle Szenen als Bewegung durch einen akustischen Raum. Die Soundlandschaft erinnert an die Arbeiten von Luc Ferrari, stammt jedoch von Frank Zappa. Plischke klatscht. Die Szenerie verschwindet, das heisst, sie ändert sich. Szenenwechsel. Plischke kommt im gelben Leotard wieder, schliesst das Fenster, macht das Licht an und schaltet das Radio auf der Bühne ein. Song: It was not easy to change to Rock’n’Roll. Er bringt ein Schild etwa in der Größe eines Autonummernschildes, das auf einer Seite eine Spiegelfläche hat: PAUSE. Aus dem Radio kommen tatsächlich die aktuellen Nachrichten. RESTLESSNESS steht auf dem nächsten Schild. Unter dem Plafond ist eine blaue Lichtzone. So blau wie Deuferts Leotard. Schatten fallen auf die Wände. DANGEROUS ZONE. Peeters in grünem Leotard. Der theoretische Körper setzt sich dem Tanz aus. Die tänzerischen Körper dem theoretischen. Begegnungen in gewaltigen Zwischenräumen. Ähnlichkeiten. ONTOLOGICAL JOKE

Wegstrecken werden laufend hinter sich gebracht. IMPOSSIBILITY. Steinweg sitzt ohne Leotard noch immer im Publikum. Er trinkt Red Bull. CRISES. Laufen und drehen. Wie die nun an den erwähnten Fäden hängenden Schilder: ENTHEIMLICHUNG. Deufert macht die verbotene Geste: sich die Augen zuhalten und zwischen den Fingern hervor lugen. Ganzkörper Gestik. Verweise zur weiteren Verwendung. LINE OF SERVANT. Ein Mikrofon wird geholt, ein Tisch wird geholt, ein Sessel platziert. PARANOID PARK. Szenenwechsel. Steinweg nimmt Platz. 2 Begriffe. 3 Fragen. Aus der Mitschrift: Wir leben in einer Welt ohne Ausgang. Hier und Jetzt. Immanenz. Das was man den Menschen nannte, hat Objektstatus. Subjekt als passive Genese... Textur... Niemand hat entschieden geboren zu sein, geboren in diese Kultur, zu diesen Eltern... Durchflossen von dieser Determination. Autonomie in der Tatsachentextur. Subjekt als Effekt... Kann es Freiheit geben in der determinalen Textur? Philosophie als Behauptung... Philosophie ist eine Demütigung für den gesunden Menschenverstand. Philosophie stellt die Konsistenz in Frage. Tatsachen sind nichts als Tatsachen. Fakten sind nichts als Fakten... Philosophie ist Selbstbeschleunigung durch die Porosität... Das Subjekt ohne Subjektivität steht nicht unter der Schirmherrschaft der Transzendenz. Es ist ein enthauptetes Subjekt. Subjekt ohne Transzendenz streckt sich ins Offene... Ich bin verzögert zu mir selbst.

(Abbruch der Mitschrift und Einschub eines Texts von Marcus Steinweg:) Die originäre Transzendenz ist das Wesen eines Subjekts ohne Wesen. Das Subjekt ist ekstatisches Subjekt einer primordialen Selbstüberschreitung. Es ist Subjekt dieser ontologischen Nacktheit und Armut, nichts als Subjekt der Leere, der Unbestimmtheit und Wesenlosigkeit zu sein. Dieses Subjekt taucht im Denken des 20. Jhdts. als Subjekt des Unzuhause (Heidegger), als Subjekt des Außen (Blanchot), als Subjekt der Freiheit oder des Nichts (Sartre), als Subjekt des ontologischen Mangels oder des Realen (Lacan), als Subjekt des Chaos oder des Werdens (Deleuze / Guattari), als Subjekt der De-Subjektivierung und Selbstsorge (Foucault), als Subjekt des Universellen oder der Wahrheit (Badiou) auf. Es ist ein Subjekt, dessen Subjektivität sich mit der Dimension des Nicht-Subjektiven zu decken scheint. Ein Subjekt ohne Subjektivität. Szenenwechsel. Steinweg kehrt wieder zu den Zuschauern zurück. Peeters, Deufert und Plischke kommen mit aufgeblasenen Leotards zurück. Körperverfremdungen. Deufert als Fuchs. Plischke als Glöckner von Notre-Dame. Peeters als Coyoten-Beutel-Superman (Kostüme von Sasa Kovacevic)

DIFFERENT LEVELS OF STUFF OUT THERE. CASTLES IN THE AIR. Groteskes Ballett. Mit Sorge komponiert. Duett. TWO HALVES. Trio. Plischke klatscht. Duett. Tanz der unfertigen Subjekte ohne Subjektivität. Zwillinge als Drillinge. An Stelle der Vertreter des Archivs besetzen hier die Stellvertreter eine Unheimlichkeit, die sich weit in die offenen Bezüge spreizt und nahezu alles zum tanzen bringt. GENTLE TURBULENCE. INDEX. Und ein weiteres Schild wird am letzten verbleibenden Faden eingehängt: END.

I am not a zombie ist gewaltige Zärtlichkeit und Liebe. OHNE PAUSE.

 

[*] Daniel Charles, Cage oder die Musik ist los. Berlin: Merve Verlag 1979, S. 24.