Hamletmaschine im Glaskasten

"Ophelia", eine Performance von Wanda Golonka,im Foyer des Frankfurter Schauspiels

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Rhein-Main 22 Oct 2002German

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Contextual note
This was a one off performance, but sections of the review deal with the "Antigone"-Projekt as well.

Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Bürgerinnen der Stadt, die das Theater sonst nur von den Zuschauerreihen kennen, haben sich im Glasfoyer des Frankfurter Schauspielhauses versammelt. Sie alle sprechen nacheinander Ophelias Text aus Heiner Müllers 1977 geschriebener „Hamletmaschine“, in der das Schicksal Ophelias für das Schicksal der Frau im Patriarchat, für den Kreislauf von Gewalt und Unterdrückung im Kampf der Geschlechter steht. Um das Verhältnis von Kollektiv und Individuum geht es Wanda Golonka in ihrer einstündigen Performance „Ophelia“, die nun in der Reihe „Nachtschwärmer“ des schauspielfrankfurt zu sehen war.

Wie ein Block, dessen Starrheit durch die Unterschiedlichkeit der Blickrichtungen dynamisiert wird, stehen die 35 Darstellerinnen über die Länge des Foyers verteilt. Jede von ihnen trägt ein anderes Abendkleid, andere Schuhe, jede von ihnen spricht den Text auf eine individuelle Weise. Deutsch, Englisch, Spanisch und Niederländisch sind zu hören. Die Stimmen sind laut, leise, gestützt oder brüchig, der Rhythmus mal forciert, mal schleppend, der Tonfall energisch, ironisch oder schüchtern. Sie alle wiederholen im Chor die immer gleichen Bewegungen, fahren sich zunächst mit einer Hand, dann mit zwei Händen durch die Haare, ziehen eine Hand über Gesicht und Mund, bis der rote Lippenstift in den Mundwinkeln leicht verschmiert ist. Jede Wiederholung akzentuiert dabei ihre eigentümliche Körperlichkeit. Nachdem die letzte von ihnen ihrem Text gesprochen hat, knipsen sie die kleinen Taschenlampen, die sie an ihren Handgelenken befestigt hatten, einfach aus.

„Ophelia“ verbindet Wanda Golonkas Interesse an starken Bildern, die, wie zuletzt in den ersten beiden Teilen ihres über die ganze Spielzeit ausgedehnten Projekts „An Antigone“, das Theater in installationsartige Denkbilder verwandelt, mit ihrem Anliegen, die Grenzen des Theaters zur Stadt hin durchlässig zu machen. Für den zweiten „Antigone“-Teil hat der Schauspieler Oliver Kraushaar auf der Straße Interviews mit Frankfurter Bürgern geführt, um der „Verfassung“ der Stadt auf die Spur zu kommen. Ob sie glücklich seien, will er etwa wissen, und alle Befragten erzählen vom Leben und von der Politik, was im Kontext von Sophokles’ Tragödie über zwei Formen des Rechts einen besonderen Resonanzboden entwickelt. Über Lautsprecher, die auf unterschiedlichen Höhen vom Schnürboden herab hängen, werden die Texte eingespielt. Um die Geschichten der Bürger zu hören, müßen sich die Zuschauer vom Rand der Bühne ins Bild hineinbegeben, bis es sich unmerklich zunächst und ganz zwanglos in der Bewegung aufgelöst hat. Eine ähnliche Durchlässigkeit erzielen Golonkas Ophelias, wenn Passanten unten am Willy-Brandt Platz stehen bleiben, und den Frauen hinter der Glasfront des Theaterfoyers in ihrem Schneewittchensarg zuschauen. Hier wird die Straße mit einfachsten Mitteln mitinszeniert, ohne daß die Kunst dadurch auf ihre eigenen Wirkungsmittel verzichtete.