Der Stoff aus dem die Körper sind
Charlotte Vanden Eynde und Ugo Dehaes zeigen ihr Stück "lijfstof" im Mousonturm
Das „Schön Tanzen“ war vielen Tänzern und Choreographen in den vergangenen Jahren nicht mehr genug. So unterbrachen sie den Fluß ihrer Bewegung und stellten den Tanz in Bildern still, die vom Körper als dem primären Instrument des Tänzers erzählten. Noch bevor der Körper auf der Bühne tanzend interagierte, geriet er als ein von geschichtlichen Spuren geprägter ins Blickfeld. Da der Körper im Theater immer auch vom Publikum angeschaut wird, untersuchten sie mit ihm auch die Rahmenbedingungen des Theaters und sein Verhältnis zum Publikum. Meg Stuart, Jérôme Bel, Xavier Le Roy, aber auch Choreographen wie Boris Charmatz, Raimund Hoghe oder Maria La Ribot stellten in ihren Arbeiten Körperbilder auf die Probe und schufen Kontexte für den Tanz, die ihn einer radikalen Selbstprüfung unterzog. Dabei ging es um nichts Geringeres als um eine den veränderten Wahrnehmungsbedingungen des Medienzeitalters abgerungene Neudefinition des Verhältnisses vom Körper zu Bild, Sprache und der Welt, als deren Teil er erscheint.
Die jungen belgischen Tänzer und Choreographen Charlotte Vanden Eynde und Ugo Dehaes, beide Absolventen der P.A.R.T.S.-Schule in Brüssel, gehen in ihrem Stück „Lijfstof“, der Stoff, aus dem die Körper sind, diesen Weg weiter. Nach einigen Soloarbeiten ist es für Vanden Eynde die erste Zusammenarbeit mit Dehaes, der vorher unter anderem als Tänzer in Meg Stuarts „Appetite“ zu sehen war. Im Theatersaal des Mousonturms stellen uns die beiden eine Reihe von isolierten Bildern vor, die für sich stehen können, deren Abfolge jedoch in eine lockere Dramaturgie eingebunden ist. In jedem Bild konfrontieren sie ihre Körper mit Gegenständen, die auf den Körper einwirken und sein Bild verändern.
In zwei Pappkartons gesteckt sehen wir am Anfang von ihnen nur zwei nackte Rücken, die sich wölben und winden, bis sich einzelne Gliedmaßen aus den Kartons befreit haben, die diese merkwürdigen Zwitterwesen aus Fleisch und Pappe fortbewegen können. Im Anschluß daran spannt Dehaes seinen Körper zwischen zwei Kisten auf. Sein Torso, von einem Spot angestrahlt und vom Rest des Körpers isoliert, hängt dabei immer wieder nach unten durch, während seine Partnerin ihm allerlei Dinge anklebt, bis sie ihn kurzerhand in eine Tasche wickelt und auf dem Boden abstellt. Ihre eigenen Arme spannt sie in eine Apparatur ein, die sie von ihrem Körper abstehen lassen, und Dehaes verwandelt seinen Bauch in ein Korsett, indem er seine Haut mit einer Reihe von Häkchen einfach zusammenzieht. Hier ist der Körper seine eigene Verpackung. Doch was dahinter liegt, bleibt uns verborgen. In einen Ganzkörperstrickstrumpf gesteckt, führen die beiden miteinander ein neckisches Tänzchen vor. Am Ende schleißt sich der Kreis mit dem Bild von zwei nackten Rücken, die in einer Art Laufstall nebeneinander Platz genommen haben, während auf der Bühne kleine Spielzeugtiere herumtollen.
Immer wieder untersuchen die Bilder kontrastiv das Verhältnis von Enge und Weite, von Nähe und Distanz. Allerdings trägt das knapp einstündige Stück seine Bezugspunkte allzu offensichtlich vor sich her, Referenzen, deren Eindeutigkeit es schwermacht zu erkennen, wo das eigene Interesse der beiden Choreographen und Tänzer liegt. Bilder aus Meg Stuarts „Disfigure Study“, Jérôme Bels “Jérôme Bel” und Xavier Le Roys “Self-Unfinished drängen sich geradezu auf– drei Meisterwerke des Tanzes in den neunziger Jahren, die schon ikonischen Status gewonnen haben und gegen deren gedankliche Stringenz und szenische Doppelbödigkeit „Lijfstof“ nicht ankommt. Trotzdem gelingen Vanden Eynden und Dehaes einige faszinierende Bilder, die im Gedächtnis bleiben.