Seelenerkundungen

John Kelly erweist Joni Mitchell im Bockenheimer Depot die Ehre

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Im wehenden schwarzen Kleid und weißer Gitarre, die an einen Synthesizer angeschlossen ist, mit dem sich auf Knopfdruck bis zu 50 Gitarrenstimmen produzieren lassen, betritt John Kelly die Bühne im Bockenheimer Depot, wo er auf Einladung des Ballett Frankfurt gastiert. „Mein Ziel ist es, ihre Lieder mit so viel Herz und Seele zu singen, wie ich aufbringen kann“. John Kellys „Shiny Hot Nights“ ist ein Konzert mit Songs von Joni Mitchell, derem Sopran er auf gespenstische Weise nahe kommt.

Für Sekunden an diesem Abend glaubt man immer wieder, Joni Mitchell sei uns leibhaftig erschienen. Doch bevor er ihr zu nahe kommt, zieht sich Kelly höflich hinter seine Maske zurück. Begleitet wird er von Zecca Esquibel als Georgia O’Keefe, neben Vincent van Gogh die Inspiration für Mitchells Ölgemälde, der am Keyboard und Sampler kräftig in die Tasten haut. Angefangen bei ihrem Hit „Big Yellow Taxi“ über „Chelsea Morning“ und „The Circle Game“ bis hin zu „Both Sides Now“, präsentieren die beiden Mitchells größte Erfolge, die, bis auf zwei Lieder an diesem Abend, alle aus ihrer Erfolgszeit in den 70er Jahren stammen.

Die Königin der Folkbewegung, der sogar Janet Jackson mit ihrem Lied „Got ’til it’s gone“ die Ehre erwiesen hat und ohne die eine ganze Garde von Sängerinnen wie Tori Amos oder Alanis Morissette undenkbar wären, gilt spätestens seit ihre ersten Platte 1968 als feinsinnige Seelenerkunderin. Doch jenseits ihres autobiographischen Bekenntnischarakters besitzen die Lieder, angefangen bei ihrer dichten Metaphorik bis hin zu Mitchells Gesangsstil, etwas absolut Künstliches. Ihre als dramatische Effekte eingesetzten Oktavensprünge, ihre eigenwilligen Phrasierungen und Manierismen wie das tremoloartige Ziehen der Noten machen aus jedem ihrer Lieder ein kleines Kunstwerk. John Kelly spürt dem nach und zeigt es uns. Fern von jeder Form der Parodie legt er die Verletzlichkeit der Sängerin bloß, deren Lieder durch Kellys doppeltes Spiel eher wie ein Schutzschild vor ihm oder ihr stehen, als daß sie etwas preisgeben.

Mit spitzem Mund und zur Maske erstarrtem Gesicht fährt er sich durch die lange blonde Perücke, betrachtet verloren seine Armreifen und Ringe, erzählt irgendeine Geschichte, die im Nirgendwo endet, lacht nervös und zupft an seiner Gitarre. Grandios wie er sich zu Mitchells epochalem Song „Woodstock“, den Crosby, Stills, Nash and Young einst populär gemacht haben, einen riesigen Hut aus Sonnenblumen aufsetzt, sich mit ein paar aberwitzig verbogenen Tanzschritten locker macht, ans Mikro tritt und den Song in all seinen Nuancen regelrecht zelebriert. Aus Woodstock wird bei ihm allerdings „Wigstock“, jenes legendäre New Yorker Straßenfestival der Schwulen und Transvestiten, die mit riesigen Perücken und Hüten ihren Lebenstil feiern. „Shiny Hot Nights“ handelt nicht nur von Joni Mitchell. Er erzählt auch von John Kelly. Ihre Lieder bilden den Resonanzboden für seine Geschichte und erhalten dadurch ein neues Leben jenseits alter Blumenkindereien. Manchmal ist die Kopie dem Geist des Originals eben doch näher, als man glaubt.