Thomas Plischke/Frankfurter Küche zeigt „As you like it. (Die Kunst der Selbstverteidigung I) am Wiener Tanzquartier
Mit überbordender Phantasie und ungezügelter Energie haben die Mitglieder des Tanzkollektivs B.D.C. um den Tänzer und Choreographen Thomas Plischke in den vergangenen drei Jahren für Aufsehen gesorgt. Doch B.D.C. gibt es nicht mehr, und Thomas Plischke, nach wie vor der gefragteste junge deutsche Choreograph, hat sich für sein neues Kollektiv andere Partner gesucht. Gegen Stücke wie „events for television (again)“ oder „re(SORT)“ wirkt die erste Tanzproduktion der „Frankfurter Küche“ „As you like it. (Die Kunst der Selbstverteidigung I)“, die jetzt im Wiener Tanzquartier uraufgeführt wurde, geradezu ausgenüchtert, konzentriert und klar. In ihrem ersten gemeinsamen Stück setzen Thomas Plischke, Yasuo Akai, Kattrin Deufert, Pirkko Husemann und Bernard Sissan Plischkes in den früheren Stücken begonnene Auseinandersetzung mit dem abgründigem Verhältnis zwischen Bühne und Zuschauerraum fort.
Das Stück, das demnächst auch in veränderter und den räumlichen Bedingungen angepasster Form in Frankfurt zu sehen sein wird, ist eine genau definierte Versuchsanordnung aus kalkulierten Wiederholungen, die zu Beginn in einer Art Gebrauchsanweisung erläutert wird. Zwei Bewegungsphrasen werden der Reihe nach von den vier Performern getanzt, wobei sie im ersten Durchgang beim Tanzen gleichzeitig beschreiben, was sie tun, um später ihre Texte mit individuellen Versatzstücken zu variieren. Videoeinspielungen spalten den Blick des Betrachters, weil sie die Bewegungen, fugenartig komponiert, verdoppeln und verdreifachen. Zwischen Text, Musik, Bild und Bewegung ergeben sich so vielfältige Bezüge, die, fein verzahnt und dramaturgisch geschickt gebaut, sogar so etwas wie kleine Geschichten erzählen.
Deren Figuren sind allerdings ebenso verwechselbar wie die vier Tänzer, die sich in blauem Sweat-Shirt, grünem Rock, blauen Strumpfhosen und grauen Turnschuhen über die Bühne bewegen. Plischke und seine Mitköche haben das Kunststück fertiggebracht, ihre Texte nur aus Zitaten zusammenzuschnipseln, deren witzige Oberflächlichkeit sich als abgründiger entpuppt, als es zunächst den Anschein hat. Denn immer wieder kreisen ihre Erörterungen um das Sehen und den Blick auf die Bühne, der sich als Thema im Laufe des Abends immer stärker in den Vordergrund drängt. Plischke schafft es, eine leichte und zauberhafte Atmosphäre zu schaffen, in die man sich gerne hineinbegibt. Yasuo Akai spielt auf einem weißen Flügel unbekümmert Erik Satie und Led Zepplin-Songs wie ein Barpianist, während Kattrin Deufert Vodka in kleine Becher ausschenkt, um damit dem Publikum den Blick zu trüben. Pirkko Husemann führt auf einer Tafel eine Strichliste, wie oft in den Texten die Worte „I“ (377 mal), „eye“ (17 mal) und „ass“ (17 mal) vorkommen.
Eine Stunde verteidigt sich das Material so vor den begehrlichen Blicken und interpretatorischen Zugriffen der Zuschauer. „As you like it“ eben: jeder mache damit, was er oder sie will. Wenig verstört den Blick, alles spult sich angenehm glatt vor unseren Augen ab, bevor sich kurz vor Ablauf der angekündigten siebzig Minuten die Situation doch noch umkehrt. Pirkko Husemann hat gerade das Bewegungsmaterial noch einmal Revue passieren lassen, als sie plötzlich innehält und die Szene erstarrt. Im Publikum springt eine Reihe Statisten auf, orangefarbene Luftballons in der Hand, die ihr Pendant in der orangefarbenen Boje finden, die auf der Bühne herumliegt und die vorher schon einmal in einer Videoeinspielung eine Rolle spielte. Minutenlang starren sie regungslos auf die Bühne, die sie längst zum Teil ihrer Staffelung verschiedener Bildelemente im Raum gemacht hat. Auf Kommando zerstechen sie schließlich ihre Ballons und begeben sich ins Bild hinein. Locker auf dem weißen Tanzboden verteilt, bringen die Wassergläser in ihren Händen zum Klingen und singen dabei in einer Endlosschleife den Refrain des billigen Schlagers „Words don’t come easy“.
Im gleichen Moment, in dem sich die Szene uns öffnet und das Bild unseren Blick zurückgibt, ist das Theater als Ort der Repräsentation beendet, weil sich Darsteller und Akteure auf der gleichen Ebene begegnen. Daß wir immer von einem anderen Platz aus wahrnehmen und daß das, was man von dort sieht, aufgrund perspektivischer Verschiebungen nie das sein kann, was man zu sehen wünscht, macht die Aufführung spät, vielleicht zu spät, deutlich. Allerdings ist „As you like it. (Die Kunst der Selbstverteidigung I)“ als Trilogie geplant, deren weitere Teile den Faden von hier aus weiterspinnen wollen. Der erste Teil, der Tanz und Theater noch einmal souverän als autonome Sphäre vor uns ausbreitet, ist schon vielversprechend genug, um neugierig zu machen auf das, was kommt.