Mir war das irgendwann zu heilig!
Ein Kneipengesprach mit Ulf Sievers
Andrea Neumann: Die meisten kennen dich ja nur als Elektronerd von Larry Peacock. Du bist aber auch ein langjahriger Wegbegleiter der Echtzeitmusikszene. Erlautere doch nochmal kurz deinen musikalischen Background.
Ulf Sievers: Ursprünglich war ich Gitarrist. Ich habe lange Zeit bei der Hamburger Band Blütenstaup gespielt. Ende der 90er Jahre habe ich dann angefangen mit dem Computer zu arbeiten. Ich wollte mich klanglich erweitern. Zeitgleich bin ich auch von Hamburg nach Berlin gezogen . Mittlerweile spiele ich, wie du schon gesagt hast, bei Larry Peacock. Wir mach en Elektropop, in unserer Musik finden sich aber auch Einflusse der Echtzeitmusikszene.
AN: Wann bist Du denn das erste Mal mit der Echtzeitmusikszene in Berührung gekommen?
US: Das muss so Mitte der 90er Jahre gewesen sein. Ich habe zu der Zeit noch in Hamburg studiert, war aber oft bei Freunden in Berlin zu Besuch - hier war ja zu der Zeit wahnsinnig viel los. Die haben mich dann auf Konzerte mitgenommen.
AN: Wie war dein erster Eindruck von der Echtzeitmusikszene?
US: Ich war fasziniert, begeistert. Alleine schon wegen der Orte, der besetzten Häuser, da gab es zum Beispiel den Anorak. Und natürlich wegen der Musik. Ich fand es sehr inspirierend, wie dort über Genregrenzen hinweg frei zusammengespielt wurde. Allerdings war die Ästhetik zu der Zeit auch noch richtig undergroundmässig, viel wilder und anarchischer als ein paar Jahre später. Die Musik stand ja für ein bestimmtes Lebensgefühl, das ich mit der Nachwendezeit in Ost-Berlin verbinde. Für mich war das "Der wilde Osten", in dem auch ohne Geld unglaublich viel möglich war.
AN: Jetzt beschreibst du die Anorakszene Mitte der 90er Jahre. Wie ist es dann weiter gegangen?
US: Es gab noch den Hochzeitsraum und ein paar andere temporäre Orte, an denen frei improvisierte Konzerte stattgefunden haben. Es wurde viel experimentiert. Wenn Du Glück hattest, konntest Du an einem Abend mehrere Formationen hören, die frei gespielt haben und dabei sehr unterschiedIich geklungen haben. Ende der 90er Jahre hat sich die Szene dann gewandelt. Musiker, die am Anfang sehr aktiv waren, haben sich anderweitig orientiert, waren nicht mehr so präsent. Dafür hat ein harter Kern, eine kleine Gruppe von Musiker_innen sehr viel zusammen gespielt und eine ganz eigene Klangasthetik entwickelt. Das, was später als Reduktionismus bezeichnet wurde. Für mich war das allerdings der Zeitpunkt, an dem ich nicht mehr so richtig mitgekommen bin. Plötzlich gab es wieder so viele Spielregeln und ungeschriebene Gesetze darüber, was erlaubt und was nicht erlaubt war in der Musik. Das hat mich eher abgetörnt. Vielleicht lag es aber auch nur an dem Sound der dabei entstanden ist: mir wurde es irgendwann zu leise und zu heilig.
AN: Was meinst du denn genau mit heilig?
US: Also, Stille wurde zu einer Qualität an sich. Sie wurde quasi zelebriert. Der Klang kam aus der Stille und verging in der Stille. Das meine ich mit heilig. Ich weiss gar nicht mehr, was heiliger war, die Stille oder der Klang . Es wurde so leise und still, dass man bei den Konzerten auch nicht mehr rein und raus durfte. Das Biertrinken hat da bereits gestört ... Ich hab mal nach einem Konzert eine Bekannte gefragt, wie es ihr gefallen hat. Die hat tatsachl ich gesagt: "Also, im zweiten Set, am Anfang des letzten Drittels, da war so ein schöner Moment, der hat mir gut gefallen". Ehrlich: so genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen. Bei so strengen Massstäben macht mir die Musik irgendwann keinen Spass mehr. Das ist mir auch zu anstrengend. Was mache ich denn die ganze restliche Zeit? Warte ich auf diesen einen guten Moment? Also für mich war die Szene zu protestantisch geworden.
AN: Was meinst Du genau mit protestantisch in diesem Zusammenhang? Du bistja katholisch auf-gewachsen, wie ich gehört habe?
US: Ja, ja, das stimmt, ich war ja auf einem katholischen Jungen-Internat. Jeden Morgen beten und einmal die Woche zur Schulmesse. Viele sagen allerdings, ich hätte so einen protestantischen Zug in mir. Vielleicht reagiere ich auch deswegen bei anderen so allergisch. Mit protestantisch meine ich, dass die Musik mit so viel Ernst und Eifer betrieben wurde. Das hatte was von reiner Lehre. Und von Arbeit. Ich meine, man muss ja nicht von der Bühne kommen und sich supergeil finden, aber dieses andere Extrem, dieses Zerfleischen darüber, "dass es wieder nicht so toll war", "dass die Improvisation diesmal nicht gelungen ist" und, "was man besser mach en müsste" ... Dieses viele Reden direkt nach dem Konzert finde ich sowieso schwierig. Ich habe immer gedacht, wonach sucht ihr eigentlich? Vielleicht sucht ihr nach etwas, das es überhaupt nicht geben kann. Das ist doch ein Paradox, die perfekte Improvisation, oder? Da ist das Scheitern doch vorprogrammiert. Aber wahrscheinlich wurde dieser Ärger als produktiv empfunden. Das Leiden am Unperfekten wurde zum Teil ja richtig überhöht. Wobei in dieser Haltung natürlich das alte Klischee vom genialen Künstler, der sich für die Kunst aufop fert, drinsteckt. Also, das ist nicht so mein Ding.
Und darüber könnte man doch einen Witz machen, oder? Aber stattdessen wurde sich geärgert. Es konnte ja schon zu Streit führen, wenn eine/r den richtigen Ton zur falschen Zeit spielte.
AN: Kennst du das aber nicht auch aus anderen musikalischen Zusammenhängen, in denen es schon Regeln gab, und wo es dann auch Ärger gibt, wenn man etwas spielt, was die anderen nicht mögen?
US: Schon, aber nehmen wir mal meine alte Band Blütenstaup. Wir haben uns da auf einzelne Songs geeinigt, die nach klar abgesprochenen Strukturen und Regeln verliefen. Zu diesen "Regeln" gehörte unter anderem auch, dass ich in der Band nie ein Jazzgitarrensolo gespielt habe, wei l ich wusste, dass die anderen das scheisse finden. Aber wie gesagt, das war klar abgesprochen .
In der Improszene war das glaube ich anders. Es wurden viele alte Verträge darüber, wie Musik gemacht wird, aufgekündigt - das fand ich echt cool und befreiend -, nur um dann schnell wieder neue Regeln aufzustellen, die letztendlich aber nicht immer transparent und klar waren bzw. subjektiv sehr unterschiedlich interpretiert werden konnten.
AN: Aber Du warst von der Szene immer auch fasziniert,oder?
US: Ja, unbedingt, ich war oft begeistert und fand das ganze sehr inspirierend. Manchmal improvisiere ich ja auch, allerdings mehr zur Generierung von neuen Ideen. Am Ende will ich schon einen fertigen Song haben. Ich kann mir in diesem Zusammenhang natürlich die Frage stellen, ob ich zu ungeduldig, produktorientiert und zu kapitalistisch bin. Ich habe die Echtzeitmusik auch immer als Kritik an der Ware Musik verstanden. Aber macht es in dem Kontext nicht auch mehr Sinn, wenn dann nicht alles ganz perfekt ist?
Trotzdem, zwischendurch war ich echt genervt. Ab einem bestimmten Punkt war es einfach eine ästhetische Frage. Mir waren die musikalischen Vorgaben zu eng. Es wurde plötzlich so vieles tabuisiert, was für mich weiterhin wichtig war. Jedenfalls war ich nicht bereit, lieb gewonnene Parameter wie etwa Tonhöhe und Puls/Rhythmus ganz aufzugeben und ich konnte auch die neue Qualität, die dadurch entstehen so lite, nicht entsprechend wertschätzen . Geräuschhafte Klänge erforschen, ja. Aber was spricht denn dagegen, diese neuen Klänge auch weiterhin in rhythmischen Strukturen aufzubereiten? Aber das galtja fast als spiessig . Da fand ich die Szene dann schon eng und elitär. Und ab einem gewissen Punkt habe ich mich gefragt, ob diese Enge nicht auch unkreativ ist.
Wie auch immer, über mein ambivalentes Verhaltnis zur Echtzeitmusikszene können wir noch ewig schwadronieren . Lass uns lieber noch einen trinken. Gleich muss ich nach Hause, der Babysitter hat um 23 Uhr Feierabend .