Mir war das irgendwann zu heilig!

Ein Kneipengesprach mit Ulf Sievers

Echtzeitmusik 2011German
Burkhard Beins, Christian Kesten, Gisela Nauck, Andrea Neumann (Hg./eds.), echtzeitmusik berlin selbstbestimmung einer szene / self-defining a scene, Berlin, 2011, pp. 291-294

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 Andrea Neumann:  Die  meisten  kennen  dich ja nur als  Elektronerd  von  Larry  Peacock.  Du  bist  aber auch  ein  langjahriger Wegbegleiter  der  Echtzeitmusikszene. Erlautere  doch  nochmal  kurz deinen musikalischen Background.

Ulf Sievers: Ursprünglich war ich Gitarrist. Ich habe  lange  Zeit  bei  der  Hamburger  Band  Blütenstaup gespielt. Ende der 90er Jahre habe ich dann angefangen  mit dem Computer zu  arbeiten.  Ich  wollte mich  klanglich  erweitern.  Zeitgleich  bin  ich  auch von  Hamburg  nach  Berlin  gezogen .  Mittlerweile spiele ich, wie du schon gesagt hast, bei Larry Peacock. Wir mach en Elektropop, in unserer Musik finden sich aber auch Einflusse der Echtzeitmusikszene.

AN: Wann bist Du denn das erste Mal mit der Echtzeitmusikszene in Berührung gekommen?

US: Das muss so Mitte der 90er Jahre gewesen sein. Ich habe zu der Zeit noch in Hamburg studiert, war aber oft bei Freunden in Berlin zu Besuch - hier war ja zu  der Zeit wahnsinnig viel  los.  Die  haben  mich dann auf Konzerte mitgenommen.

AN: Wie war dein erster Eindruck von der Echtzeitmusikszene?

US:  Ich  war  fasziniert,  begeistert.  Alleine  schon wegen  der Orte,  der besetzten  Häuser,  da  gab es zum Beispiel den Anorak. Und natürlich wegen der Musik. Ich fand es  sehr inspirierend, wie dort über Genregrenzen hinweg frei zusammengespielt wurde.  Allerdings  war  die  Ästhetik  zu  der  Zeit  auch noch  richtig  undergroundmässig,  viel  wilder  und anarchischer als  ein  paar Jahre  später.  Die  Musik stand ja für ein bestimmtes Lebensgefühl, das  ich mit der Nachwendezeit in Ost-Berlin verbinde. Für mich war das "Der wilde Osten", in dem auch ohne Geld unglaublich viel möglich war.

AN:  Jetzt  beschreibst  du  die  Anorakszene  Mitte der 90er Jahre. Wie ist es dann weiter gegangen?

US:  Es  gab noch den  Hochzeitsraum und ein  paar andere temporäre Orte, an denen frei improvisierte  Konzerte  stattgefunden  haben.  Es  wurde  viel experimentiert. Wenn Du  Glück hattest, konntest Du  an  einem Abend mehrere Formationen  hören, die frei gespielt haben und dabei sehr unterschiedIich geklungen haben. Ende der 90er Jahre hat sich die  Szene  dann  gewandelt.  Musiker,  die  am  Anfang sehr aktiv waren, haben sich anderweitig orientiert, waren nicht mehr so präsent. Dafür hat ein harter Kern, eine kleine Gruppe von Musiker_innen sehr viel zusammen gespielt und eine ganz eigene Klangasthetik entwickelt.  Das,  was  später als  Reduktionismus bezeichnet wurde. Für mich war das allerdings der Zeitpunkt, an dem ich nicht mehr so richtig  mitgekommen bin.  Plötzlich gab es  wieder so  viele  Spielregeln  und  ungeschriebene  Gesetze darüber, was  erlaubt und was  nicht erlaubt war in der Musik.  Das hat mich eher abgetörnt. Vielleicht lag es  aber auch  nur an  dem Sound der dabei entstanden ist: mir wurde es irgendwann zu  leise und zu heilig.

AN: Was meinst du denn genau mit heilig?

US:  Also, Stille wurde zu einer Qualität an sich. Sie wurde quasi zelebriert. Der Klang kam aus der Stille und verging in der Stille. Das meine ich mit heilig. Ich weiss gar nicht mehr, was heiliger war, die Stille oder der Klang . Es wurde so leise und still, dass man bei  den  Konzerten  auch  nicht mehr rein  und  raus durfte. Das Biertrinken hat da bereits gestört ... Ich hab mal nach einem Konzert eine Bekannte gefragt,  wie  es  ihr gefallen  hat.  Die  hat tatsachl ich gesagt: "Also, im zweiten Set, am Anfang des letzten Drittels, da war so ein schöner Moment, der hat mir gut gefallen".  Ehrlich: so genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen. Bei so strengen Massstäben macht mir die Musik irgendwann  keinen  Spass mehr.  Das  ist mir auch  zu  anstrengend. Was  mache ich denn die ganze restliche Zeit? Warte ich auf diesen einen guten Moment? Also für mich war die Szene zu protestantisch geworden.

AN:  Was  meinst  Du  genau  mit protestantisch  in diesem Zusammenhang? Du bistja katholisch auf-gewachsen, wie ich gehört habe?

US:  Ja, ja, das stimmt, ich war ja auf einem katholischen Jungen-Internat. Jeden Morgen beten und einmal die Woche zur Schulmesse.  Viele sagen  allerdings, ich hätte so einen protestantischen Zug in mir. Vielleicht reagiere  ich  auch  deswegen  bei  anderen so  allergisch.  Mit protestantisch  meine ich, dass die Musik mit so viel Ernst und Eifer betrieben wurde. Das hatte was von reiner Lehre. Und von Arbeit. Ich  meine, man  muss ja nicht von  der Bühne kommen und sich supergeil finden, aber dieses andere Extrem, dieses Zerfleischen darüber, "dass es wieder nicht so  toll  war",  "dass  die  Improvisation diesmal nicht gelungen ist" und, "was man  besser mach en  müsste" ...  Dieses viele  Reden  direkt nach dem Konzert finde ich sowieso schwierig. Ich habe immer gedacht, wonach sucht ihr eigentlich?  Vielleicht sucht ihr nach etwas, das es überhaupt nicht geben  kann.  Das  ist doch ein  Paradox,  die perfekte Improvisation,  oder?  Da  ist das  Scheitern  doch vorprogrammiert. Aber wahrscheinlich wurde dieser Ärger als produktiv empfunden. Das Leiden am Unperfekten wurde  zum  Teil  ja  richtig  überhöht. Wobei  in dieser Haltung natürlich das alte Klischee vom genialen  Künstler,  der sich  für  die  Kunst aufop      fert, drinsteckt. Also, das ist nicht so mein Ding.

Und darüber könnte man doch einen Witz machen, oder?  Aber stattdessen  wurde  sich  geärgert.  Es konnte ja schon zu  Streit führen,  wenn eine/r den richtigen Ton zur falschen Zeit spielte.

AN:  Kennst du das aber nicht auch aus anderen musikalischen  Zusammenhängen,  in  denen  es  schon Regeln gab, und wo es dann auch Ärger gibt, wenn man etwas spielt, was die anderen nicht mögen?

US:  Schon,  aber nehmen wir mal  meine alte Band Blütenstaup. Wir haben uns da  auf einzelne Songs geeinigt,  die  nach  klar  abgesprochenen  Strukturen  und  Regeln  verliefen.  Zu  diesen  "Regeln" gehörte unter anderem auch, dass ich in der Band nie ein Jazzgitarrensolo gespielt habe, wei l ich wusste, dass  die anderen das scheisse finden. Aber wie gesagt, das war klar abgesprochen .

In der  Improszene  war das  glaube  ich  anders.  Es wurden viele alte Verträge darüber, wie Musik gemacht wird, aufgekündigt - das fand ich echt cool und befreiend -, nur um dann  schnell wieder neue Regeln aufzustellen, die letztendlich aber nicht immer transparent und klar waren bzw. subjektiv sehr unterschiedlich interpretiert werden konnten.

AN:  Aber Du warst von der Szene immer auch fasziniert,oder?

US:  Ja,  unbedingt, ich war oft begeistert und fand das ganze sehr inspirierend. Manchmal improvisiere ich ja auch, allerdings mehr zur Generierung von neuen Ideen. Am Ende will ich schon einen fertigen Song  haben.  Ich  kann  mir in  diesem  Zusammenhang natürlich die Frage stellen, ob ich zu ungeduldig, produktorientiert und zu kapitalistisch bin. Ich habe  die  Echtzeitmusik auch  immer als  Kritik an der Ware Musik verstanden. Aber macht es in dem Kontext nicht auch mehr Sinn, wenn dann nicht alles ganz perfekt ist?

Trotzdem,  zwischendurch  war  ich  echt  genervt. Ab einem  bestimmten  Punkt war es  einfach  eine ästhetische  Frage.  Mir  waren  die  musikalischen Vorgaben  zu  eng.  Es  wurde  plötzlich so  vieles  tabuisiert,  was  für mich  weiterhin  wichtig  war.  Jedenfalls war ich nicht bereit, lieb gewonnene Parameter wie etwa Tonhöhe und Puls/Rhythmus ganz aufzugeben und ich konnte auch die neue Qualität, die  dadurch  entstehen so lite,  nicht entsprechend wertschätzen .  Geräuschhafte  Klänge  erforschen, ja.  Aber  was  spricht  denn  dagegen,  diese  neuen Klänge auch weiterhin in rhythmischen Strukturen aufzubereiten? Aber das galtja fast als spiessig . Da fand ich die Szene dann schon eng und elitär. Und ab einem  gewissen  Punkt habe  ich  mich  gefragt, ob diese Enge nicht auch unkreativ ist.

Wie auch immer, über mein ambivalentes Verhaltnis zur Echtzeitmusikszene können  wir noch ewig schwadronieren .  Lass  uns  lieber  noch  einen  trinken. Gleich muss ich nach Hause, der Babysitter hat um 23 Uhr Feierabend .