Lachen

Manifestation von Klang und Körper

Positionen Aug 2009German
Positionen, Nr. 80, August 2009, pp. 22-23

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Im April 2007 begann die Berliner Choreographin und Performerin Antonia Baehr an einem
Forschungsprojekt über das Lachen zu arbeiten. Dieses umfasst Kompositionenfür Lacher von
Freunden und sich selbst, Auffiihrungen davon an verschiedenen Orten in Deutschland und
Frankreich, Workshops, einen Katalog. ››Ich war nicht allein an Techniken des Lachens und seinen
physiologischen Komponenten interessiert«, schreibt sie im Vorwort, »sondern auch an seinen
gestischen Qualitäten und an denjenigen von Lachen als Ausdruck, beraubt seiner Gründe und
Effekte; als eine Manifestation von Klang und Körper. « AufBitte von
Positionen schrieb
Antonia Baehr den folgenden Text.

(Die Redaktion)

 

HA HA HA
m hm hm hm hm häm hm hm hm hm
[hmmm]
hm hm hm hm häm hm hmhm [hmmm]
[öh] ha ha ha ha ha ha ha ha haaaa! haa! haa,
[öh] uh haa haa haa haaa, haa!
[öh] ha ha ha haa! ha ha haa! ha, haha
ouh ha ha ha ha (Zeichnung einer Hand) ha
ha haaa!

 

Lektion 1 : Schreiben
H, H, H, A, A, A, HA, HA, HA

-oder: das Lachen verschriftlichen. Was ist das? Was lesen wir hier? Ein Lautgedicht, eine musikalische Notation, oder bedeutungslose Sprache? Doch in der Kombination des Buchstabens H gefolgt vom Buchstaben A und der Wiederholung dessen erkennen wir: Lachen. Das obige ist ein Ausschnitt der Verschriftlichung von Nicole Dembélés Lachen, aufgenommen auf Video an einem Tag im juni 2007 in Aubervilliers, einem Vorort von Paris. Nicole Dembélé ist eine Frau mit einem Blümchenmuster-Pullunder und einer Brille. Sie sitzt auf einem Stuhl. Neben ihr, am Stuhl angelehnt, ihr Gehstock. Nicole Dembélé ist eine der hervorragendsten Lacherlnnen von Aubervilliers. Ihr lachen ist laut, zeigt Regelmäßigkeiten auf, die Variationen in der Wiederholung erfahren. Ihr Lachen schwingt sich in schallende Crescendi -und ist unausweichlich ansteckend, so dass es nur selten alleine zu hören ist, denn es stößt Lachsalven in ihrer Entourage los, die sich wellenartig durch den Raum verbreiten.
               Die Verschriftlichung stammt von mir selbst und sollte dazu Hilfestellung leisten, mir das Lachen von Nicole anzueignen, einzuverleiben. Als ich vor dem Videomonitor saß und mir die Aufnahme zum ersten Mal anschaute, stand ich vor einem Rätsel: Wie kann ich dieses besondere Lachen verschriftlichen? Da ich mit dem Alphabet am ehesten vertraut bin, mehr als mit der musikalischen Notenschrift oder mit choreographischen Notationssystemen wie der Laban-Notation, ließ ich mich von Kurt Schwitters Ursonate inspirieren, um Nicoles Lachen zu transkribieren. Alles schien vom deutschen Alphabet mehr oder minder eingerahmt werden zu können -auch wenn die vokalartigen Laute in Richtung a, e, i, o, u, ö, ä hineingedeutet werden mussten. Und für das eingeatmete Lachen schien es unabdingbar, ein Zeichen zu finden: die Klammer.
               Doch Nicole war noch ein einfacher Fall, da sie sehr aufrecht sitzt, wenn sie lacht, ımd außer einem kräftigen Schlag mit der rechten Hand auf den rechten Schenkel, der immer wieder vorkommt, krümmt sie sich nicht und tänzeltbeim Lachen nicht herum. Eine im weitesten Sinne musikalische Notationsform war ausreichend, um ihr Lachen abzubilden.
                Naima Akkars Lachen bot da größere Schwierigkeiten, in das Korsett meines Notationssystems hineingepresst zu werden. Naima, auch eine der Lacherlnnen aus Aubervilliers, geht beim Lachen vor und zurück, beugt sich nach vorne, haut mitbeiden Händen kräftig auf die Knie, um im nächsten Moment aufrecht zu stehen, ihre Schultem geschüttelt von auf und ab gehenden Bewegimgen . . . Es bedarf eindeutig eines kompletten neuen Notationssystems und zwar: eines choreographischen.
                Wenn ich mich selbst beim Lachen beobachte, spüre ich, wie gewaltige Luftschübe das Zwerchfell stoßen, um mit einer enormen Geschwindigkeit aus dem Mund zu platzen. Dabei ziehen sich die zygomatischen Muskeln sowie die Augenringmuskeln zusammen. Manchmal schließen sich sogar die Augen, oder sie fangen an zu tränen. Womöglich bringen mich diese Selbstbeobachtungen zu noch weiteren Lachattacken, die meine Hände zappeln lassen, und möglicherweise lande ich, nach einigen Umwegen und Windungen auf dem Boden auf allen Vieren. Und wie kann ich das wohl notieren? Da bin ich schnell mit meinem Latein -und dem lateinischem Alphabet - am Ende.

 Das Lachen in seiner Gesamtheit und Komplexität kann nicht verschriftlicht werden. Jede Notation verkleinert das Lachen, reduziert es. Aber gerade die Unmöglichkeit der Verschriftlichung bzw. Notation macht sie interessant, denn sie stößt uns an unsere ››Rahmen«, unsere Wahrnehmungsmuster, durch die wir die Welt wahrnehmen. Wenn wir das Lachen versuchen zu verschriftlichen, stehen wir erstmal vor einer grundlegenden Frage: Wie nehme ich das Lachen war? Als asemantische Sprache, konkrete Poesie? Als Musik? Als Tanz? Als Schauspiel? Als Performance? Als somatische Praxis, zum Beispiel als Yogaübung (1)? Wenn wir das Lachen notieren bzw. verschriftlichen, kommen nicht nur Lmsere Ziele, sondern auch unsere Ausbildungen und unsere Hintergründe zum Vorschein. Wenn wir das Lachen notieren, sagt es mehr über die/den Notierende/n als über das Lachen selbst aus.


Lektion 2: Lesen
HA, HA, HA - oder: das Lachen entziffern. Die Lachschule ist per se absurd, denn es kann kein Lachschulbuch geben, ohne das Lachen so einzubändigen, dass es kein Lachen mehr ist. Denn ist das Lachen nicht gerade ein Herausplatzen aus einem System, einer Struktur, einem Rahmen? Ich nehme jetzt den sozial normierten Körper als einen Rahmen. Das schallende Lachen sperrt den Körper auf, Spucke, Rotze, Husten platzen aus ihm heraus. Es ist nicht hübsch. Es ist geradezu unanständig. Warum habe ich als Mädchen in der Pubertät so viel lachen müssen, ganze Tage lang, bis ich nicht einmal vor Lachen einschlafen konnte? Das Lachen scheint mit dem sexuellen eng verbunden; laut einer Feministin in den 70er Jahren, Annie Leclerc (2), ist es mit der Zelebration des menstrualen Blutens gleichgesetzt zu feiern als Befreiungsakt der Frau. Entgegensetzt dazu steht das Lächeln, das den Mann bezirzen soll und somit eine wichtige Rolle spielt bei der Objektivierımg der Frau. Es gibt viele Interpretationen der Bedeutungen des Lachens, doch ich würde hier vor allem eine festhalten: Das Lachen ist monströs insofern es unsere Kategorien und Grenzen sprengt. In seinem Essay über das Lachen-werden (devenir-rire; becoming laughter) geht Stefan Pente noch weiter, indem erschildert, wie der lachende Körper das Potential einer positiven Deterritorialisierung in sich trägt.(3)

 

Lektion 3: Vortragen
HA! HA! HA!
- oder: das Lachen auf der Bühne, künstlich. Doch wenn ich das künstliche Lachen betreiben will, das Lachen auf der Bühne, muss ich mich notgedrımgen mit einer Rahmengebung auseinandersetzen. Ich muss dem Lachen einen Rahmen geben - das Lachen einrahmen. Wenn ich das Lachen in einen künstlichen Rahmen stelle wird es, durch den Kontext, in dem es präsentiert wird, notgedrungen als Musik, als Tanz, als Performance, oder als somatische Praxis usw. gelesen. Doch durch seine Anwesenheit sprengt oder erweitert es die jeweiligen Spartenbegriffe, genau so wie es das “anständige”  Körperbild sprengt. So hat eineLachmusik, haben Lachstimmlaute etwas Monströses, wenn ich sie mit »herkömmlichen« Gesanglauten vergleiche.
           Ich könnte einerseits sagen, dass ich die Grenzen der Sparten außer acht lassen will, eine Befreiung anstrebe. Aber ich glaube nicht an die tabula rasa, an die Möglichkeit eines Neuanfangs im Niemandsland, denn das Niemandsland ist immer schon bevölkert von den Gespenstern der Geschichte, Wissen und Machtverhältnissen. Dabei stellt die Betitelung “Performancekunst” kein freieres Land dar als die Begriffe  “Konzert” oder  “choreographisches Stück”. Sie ist genauso von einer Geschichtlichkeit geprägt, wenn auch jünger als ihre älteren Geschwister “Tanz”, “Theater”, “Konzert”,  “Oper” usw.  Umso strenger das Regelwerk, um so größer die Anwesenheit von Reibungsflächen und somit von Diskursmöglichkeiten. Dies gilt sowohl für die/den Performerln, die/den Betrachterln, als auch für den Markt, der Aufführungskontexte bestimmt. Wenn es keine Befreiımg geben kann bzw. die Freiheit nur als Gespenst ein Dasein hat, kann die Arbeit mit dem Lachen auf einer Bühne die Möglichkeit darstellen, von Innen heraus einen Widerstand, eine Verschiebung, eine Veränderung zu erzielen. So werden die Rahmen und Regelwerke der Choreographie und der Komposition eingehalten, doch vom Lachen gefüllt. Wenn ich das Stück Namens LACHEN als Choreographie deklariere und mich als Choreographin und es auf einem Tanzteppich aufführe, erweitere ich das Material, aber nicht die Choreographie selbst. Ich gehe als Choreographin des Lachens durch, ich spiele eine Rolle.
        Und welche Rolle spielt die/der mitlachende Zuschauerln und die/der entschieden hat, nicht mitzulachen, um besser zuhören und zuschauen zu können? Denn das Betrachten des Lachens auf der Bühne stellt eine Zwickmühle dar: Einerseits könnte sie/er still sein, um die Rolle des unsichtbaren, unhörbaren Voyeurs des Diderotschen bürgerlichen Theaters zu erfüllen, andrerseits könnte sie/er mitlachen, um eine Gemeinschaft mit der/dem Performerln und den andren Publjkumsmitgliedem zu bilden. Doch dies wäre ein neues Kapitel.

 

(1) Lachyoga ist eine weltweit verbreitete Praxis, die von einem Arzt aus Indien Namens Dr. Madan Kataria propagiert wurde. Zu gesundheitlichen  Zwecken werden Lachübungen in der Gruppe ausgeführt, die an Yogaübungen angelehnt sind. Beim Lachyoga steht das grundlose Lachen im Vordergrund.

(2) Annie Leclerc, Woman's Word, in: the Feminst Critique of Language (1974), hrsg. v. Deborah Cameron, Routledge Chapman & Hall 1990.

(3) Stefan Pente, Laughter. Minus-Laughter, in: Antonia Baehr, RIRE LA UGH LACHEN, Edition l'Oeil d'Or: Les laboratories d'Aubervi1liers 2008.