Perfektes Spiel der Kräfte
Die 'Raimund Hoghe-Week’ bei Klapstuk in Leuven
Es war ein feines Vorweihnachtsgeschenk, das sich ‚Klapstuk’ für sein Publikum im belgischen Leuven hat einfallen lassen: die ‚Raimund Hoghe-Week’. Im Anschluß an die ersten Aufführungen der jüngsten Arbeit Hoghes, ‚Another Dream’, im Brüsseler Kaaitheater konnte man in der kleinen Universitätsstadt an fünf Tagen und Abenden Werke sehen, die der deutsche Choreograph zu einem kleinen Festival von seltener Stimmigkeit zusammengestellt hatte.
Erstaunlicherweise wird in der Reflexion zeitgenössischer Tanzperformance auch heute noch meist nachsichtig auf die kritische Analyse von Präsentationsstrukturen verzichtet. Mit dem Ergebnis, daß immer wieder interessante Arbeiten in einem Zusammenhang gezeigt werden, der sie verfälscht oder erstickt. Die Verantwortung für die lächerliche kuratorische Qualität vieler europäischer Tanzevents liegt nicht nur bei den Veranstaltenden. Denn solange diese, ohne Kritik zu ernten, mit den ihnen überantworteten Kunstwerken beliebig Progrämmchen panschen können, wird sich an der programmatischen Beliebigkeit bestimmter Festivals auch nichts ändern.
Das ‚Festival’ ist als altes Routineformat für die sensible und ephemere Kunstform Tanz umstritten. Die Vorteile des Festival-‚Zirkus’ sind offensichtlich. Viele temporär begrenzte, konzentrierte Veranstaltungsreihen in verschiedenen Städten helfen den Künstlern dabei, sparsam in der Ausstattung und flexibel zu bleiben. Dieses hoch zeitgemäße Nomadentum konfrontiert Künstler und Werke mit unterschiedlichen kulturellen Umfeldern. Aber ungeeignete Räume, zu kurze Aufbauzeiten, Kommunikationsprobleme und zu knappe Aufenthalte in den Veranstalterstädten bilden ein Bündel an Stressoren, die immer wieder Aufführungen ruinieren.
Klapstuk in Leuven, zur Zeit unter der Leitung von An-Marie Lambrechts, Alain Platel und Griet van Laer, führt einen ganzjährigen Veranstaltungsbetrieb, der auch für ein biennales Festival verantwortlich zeichnet. Angeschlossen an die kulturellen Einrichtungen der K.U. (Katholischen Universität) Leuven und Produkt des linken kulturellen Aufbruchs in Flandern vor etwa zwei Jahrzehnten, war Klapstuk ein Nährboden für den Aufstieg der belgischen Tanzperformance. Das Festival 1999 – das in damals erstmals mit kuratorischer Beteiligung von Platel organisiert wurde – war, gerade auch auf Grund einiger Arbeiten, die der Choreograph selbst eingeladen hatte, problematisch. Die Raimund Hoghe-Week hat den Schaden zumindest begrenzt.
Der Künstler ist als Kurator natürlich von seinem kunstideologischen Blickwinkel bestimmt. Das kann aber zu außergewöhnlichen Konstellationen führen, wie das etwa Mark Tompkins 1998 mit seinem Improvisationsfestival ‚On the Edge’ in Paris und Straßburg gezeigt oder wie es Hoghe vergangenen Dezember in Leuven bewiesen hat.
Es ist Raimund Hoghe gelungen, strukturell ein perfektes Kräftesystem erzeugen: Die Differenz der präsentierten Arbeiten und die kontextuelle Kohärenz des Gesamten ließ jedes einzelne Stück in einem ‚optimalen Licht’ erscheinen. Sarah Chase’s Projekt ‚A Small Room’ thematisiert die performativen Eigenschaften oraler Narration. Jeweils ein Rezipient pro ‚Vorstellung’ tritt mit der kanadischen Tänzerin eine unglaubliche Reise in deren verblüffende Familiengeschichte an. Performanz und Perzeption bilden ein in kleine soziale Rituale gebettetes Mikrosystem, das der Massenpublikumshaltung der Großveranstalter diametral entgegensteht. ‚A Small Room’ fand an allen fünf Tagen statt und bildete so das ‚Rückgrat’ der Hoghe-Week, für deren Verklammerung zu Beginn und am Ende er selbst sorgte. Der erste Abend bestand auf einer Lecture-Performance, die eine Werkeinführung, aber auch eine œuvreinterne Rekontextualisierung darstellte: Hoghe zeigte Auszüge aus verschiedenen Stücken und verband die einzelnen Teile mit kurzen Erklärungen. Am Ende der Hoghe-Week stand die Arbeit ‚Lettere Amorose’ aus dem Jahr 1999.
Eine Ebene der Hoghe-Week war die Diskussion der Rolle der Akteurspersonen: als Performer und Vortragender (Hoghe), als ‚Puppenspieler’ einer Objektchoreographie (Jérôme Bel und Frédéric Seguette in ‚Nom donné par l’auteur’), als Erzählerin (Chase), als Tänzer und Kameramotiv (Vincent Dunoyer in ‚Vanity’), als treibendes Teil eines performativen Environments (Robert Pacitti, ‚This Is Not A Love Song’) und als Projektionsfläche (Lília Mestre mit Davis Freeman in ‚Untitle Me’). Als ebenso durchgehend thematisiert erschien die Erzählung, sei sie nun mündlich (Chase) oder gestisch-verbal (Hoghe), sei sie am Objekt festgemacht wie bei Bel oder als Konfrontation von Figur und Objekt (Pacitti, Hoghe) oder als Auseinandersetzung von Leib und Medialität (Dunoyer, Mestre/Freeman). Die Hoghe-Week postulierte überdies ein ‚Armes Theater’, eine Kunst der Intimität und gesellschaftlichen Scharfblick.
In der aus ‚Einzelbildern’ zusammengesetzten Performance des Briten Robert Pacitti, der von Szene in Szene schlüpfte, zeigte der Künstler eine Möglichkeit des Akteurs, immer wieder aus seiner performativen Verfaßtheit herauszutreten – wie auch Hoghe in seiner Lecture-Performance. Pacitti arbeitet bevorzugt auf dem Gebiet der bildenden Kunst. Dunoyers bisher schmales Œuvre beschäftigt sich mit der Methodik choreographischen Inszenierens. Der einstige Tänzer bei Keersmaeker arbeitet an einer Neudefinition des Interpreten: Er kuratiert sich selbst, plant Installationen, mediatisiert eigenständig seinen Körper und verändert so die Realität der Choreographie. In Mestre/Freeman’s brillanter Arbeit ‚Untitle Me’ bilden Set und Tänzerin ein Duett. Das Set vereinnahmt, verhört und verkleidet die Performerin, sie erzählt von sich und nützt das Set mit List zur Selbstdarstellung. Die Beweislage ist erdrückend: Sollte das kommende Klapstuk-Festival sich an den Qualitätsniveaus der Hoghe-Week orientieren wollen, dann steht Leuven im Herbst 2001 ein großartiges Ereignis bevor.