Drei Doppel-Punkte: ‘Nero’
Uraufführung einer neuen Arbeit von Emio Greco und Pieter C. Scholten bei CaDance in Den Haag
Elektronisches Knacken und Knistern. In Bühnen- und Zuschauerraum kriechen Nebel durch bedrohliches Halbdunkel. Eine hochaufgeschossene Frau steht wie ein Phantom an der Bühnenrückwand, leuchtet sich mit einer mikrophonähnlichen Taschenlampe ins Gesicht, das in diesem schwachen Schein wie zur Maske erstarrt aussieht. Unvermittelt macht die Tänzerin Bewegungen, zitiert die Pawlowa, phrasiert einen sterbenden schwarzen Schwan. So beginnt ‚Nero’, der dritte Teil der Werkgruppe ‚Double Points’ von Emio Greco und PC (Scholten).
Nach drei äußerst markanten Arbeiten unter dem Titel ‚Fra cervello e movimento’ hat das künstlerische Duo einen Doppelpunkt gesetzt und eine Abhandlung begonnen, die sich heute als Bolero-Solo Grecos (Nr.1), als Duett des Tänzers mit Bertha Bermudez (Nr.2) und nun als Trio – Greco, Bermudez und Barbara Gutiérrez –, in das zuweilen ein vierter Tänzer eindringt (Nr.3), darstellt. Mittlerweile tanzt Greco auch ‚Extra Dry’, den 3. Teil von ‚Fra cervello e movimento’, mit Gutiérrez, einer kräftigen, androgynen Tänzerin, die erfolgreich dabei ist, das grecosche Bewegungs-Know-how zu inkorporieren.
‚Nero’ beginnt solistisch und öffnet sich über eine im nebeldichten, lichtstarrenden Raum schemenhafte Spiegelung zu einem Pas de trois, in dem starke Spannungen aufgebaut werden. Durch synchrone Formationen, die von asynchronen Bewegungen durchsetzt sind, entstehen Interferenzen und kleine visuelle Schocks, die dramaturgisch von einigen größeren Entladungen weggefegt werden, bevor sie sich wieder neu ansammeln. ‚Nero’ erscheint wie ein Zeitbrikett voll Energie, das entflammt, aufglüht und am Ende knisternd verharrt. Auch in ‚Bolero’ und ‚Double point: 2’ herrscht Dunkelheit vor. Aber ‚Nero’ findet seinen Ort bereits in der Nähe eines Schwarzen Lochs, das alle Materie und alles Licht zu verschlingen droht.
Grausam grell heult dieses Licht auf, der Sound scheint blitzend und funkensprühend unter dem eigenen Gewicht zusammenzubrechen. Die Geometrie der Scheinwerfer erzeugt ein paranoides Gefängnis für die vier Individuen, die kreuz und quer über die Bühne gejagt werden und langsam dem Schwarzen Loch entgegendriften.
Greco gelingt es, sich mit seinen Tänzern auf der Bühne zu vernetzen, seine Kräfte mit den ihren zu balancieren, ausbrechen zu lassen und wiedereinzufangen. Hier läßt sich nicht ein Meister von Musen schmücken. Vielmehr wird das (zuweilen erweiterte) Trio zu einem lebendigen Konstrukt aus außergewöhnlichen Tänzerpersönlichkeiten, heterogen vor allem durch die dämonische dunkelhäutige Spanierin Bermudez, deren Gesicht und linker Arm schwarz gefärbt sind. Oder durch die schwarzen Vlies-Kleidchen, die sie alle tragen. Oder durch das Licht, wenn es in parallelen Bahnen zugleich Zuschauerreihen und die Bühne absucht.
Die drei existierenden ‚Double Points’ schlagen aber sozusagen keinen neuen Krater, sie vertiefen den Impact von ‚Fra cervello e movimento’. Greco und Scholten untersuchen etwas, und zwar konsequent. Eine sprunghafte Suche nach Gags ist dabei nicht nötig.