Was sieht man im Dunkeln?
‘Mono Subjects’ im Mousonturm
Bei der zweiten Vorstellungen von seinem Solo „Distanzlos“ in Hong Kong sei es passiert. Gelangweilt, weil der zweite Abend nur mehr eine blasse Kopie des ersten zu werden drohte, ließ seine Konzentration nach. Dann zeigt er uns, was passiert ist. Thomas Lehmen rennt über die Studiobühne im Mousonturm, knickt ein und fällt hin. Laut schreiend ruft er ins Publikum, daß das nicht zur Show gehöre, sondern echt sei. Eine alte Sportverletzung am Knie habe sich wieder gemeldet, doch statt die Vorstellung abzubrechen, habe er die Zähne zusammengebissen und den Abend gut über die Bühne gebracht. Seitdem, so erklärt er dem Publikum, wisse er, das es möglich sei, auf der Bühne etwas Echtes zu machen.
„Mono Subjects“, das neue Stück von Thomas Lehmen, kreist um Wahrheit und Lüge, Wirklichkeit und Fiktion. Der in Berlin ansässige Choreograph und Tänzer sucht darin nach Wegen für Tänzer und Darsteller, auf der Bühne einfach sie selbst zu sein, ohne den Umweg über ein darzustellendes Drittes nehmen zu müssen. Doch da die Welt, die auf der Bühne gezeigt wird, immer nur eine Realität unter dem Vorzeichen der Fiktion sein kann, muß er Strategien entwickeln, die Gefahr der Illusion zu bannen. Gerade weil wir uns nach wie vor im Theater befinden, kann sich das Publikum dabei jedoch nie sicher sein, ob das, was uns Lehmen und die beiden Tänzer Maria Clara Villa-Lobos und Gaetan Bulourde zeigen, nicht doch eine Lüge ist. Aus dieser Spannung, die immer mehr einem Grenzgang gleichkommt, zieht der Abend seine Motivation und seine Energie.
Artig stellt Lehmen zu Beginn seine Mitspieler inklusive dem Lichttechniker vor und beschreibt den Raum mitsamt seinem Inhalt. Jeder ist, wer er ist. Der Raum ist der Raum und sonst nichts. Keine verklärende Illusion soll hier aufkommen. Überraschungen ausgeschlossen. Deshalb zeigt uns Maria Clara Villa-Lobos in einem Prolog gleich alle Bewegungen im Schnelldurchlauf, die im Stück vorkommen werden. Am Ende wiederholt sie sie noch einmal. Doch da haben sich längst schon Zweifel eingeschlichen. Hat man wirklich alle Bewegungen, die Villa-Lobos hier isoliert, um sie flink wieder in Fluß zu bringen, auch vorher gesehen? Maria Clara Villa-Lobos läßt ihr Kollegen eine Jazztanz-Routine üben, spielt mit Lehmen „die nackte Wahrheit“, ein Spiel, bei dem ihr Partner nur die Wahrheit sagen darf. Doch ob er wirklich einmal in London als Stripper gearbeitet hat, bleibt sein Geheimnis. Zwischen den einzelnen Szenen kehren die drei immer wieder zur Bühnenrückwand zurück, wo sie zum Auftanken kräftig in die Saiten von drei Elektrobässen greifen. Körperhaltungen werden beschrieben, um von den anderen nachgeahmt zu werden, aber das Resultat ist erwartungsgemäß alles andere als identisch mit dem Original. Während der Raum sich verdunkelt, beschreibt Gaetan Bulourde mit dem Rücken zum Publikum stehend am Ende noch einmal das, was er sieht. Doch was sieht man wirklich im Dunkeln?
Die Vorstellungen im Mousonturm sind sogenannte „Try Outs“, Voraufführungen, um Zwischenergebnisse zu zeigen und Wirkungen von Szenen zu testen, bevor das Stück Anfang April in Berlin Premiere haben wird. Doch schon jetzt hat Thomas Lehmen mit „Mono Subjects“ ein überaus unterhaltsames Spiel mit Intensitäten geschaffen, das nicht zuletzt aufgrund seiner unverbrauchten Bewegungen lange nachwirkt. (Eine weitere Voraufführung heute Abend um 21 Uhr im Mousonturm)